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Seepest

Seepest

Titel: Seepest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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kauerte da, nur wenige Stufen über
ihm, eine dunkle Gestalt vor seiner Tür, ein konturloser Schatten, bewegungslos
und in der herrschenden Dunkelheit kaum auszumachen? Sollte er wieder mal ein
Rendezvous vergessen haben? Karin Winter hatte ihn einmal auf diese Weise
empfangen. Doch was da vor ihm saß, war keine Frauengestalt, dafür war die
Statur entschieden zu kräftig. Ein Mann also. Aber wer?
    »Guten Abend, Vater«, grüßte der Schatten.
    Wolf erstarrte mitten in der Bewegung, blieb wie
angewurzelt stehen, die Rechte um das Geländer gekrallt, bevor er laut und
vernehmlich die Luft ausstieß. »Du?«, stieß er mit belegter Stimme hervor.
    »Was blieb mir anderes übrig? Auf meine Anrufe hast du
ja nicht reagiert.«
    »Und? Was willst du?«, fragte Wolf nach längerem
Schweigen.
    »Mit dir reden.«
    »Ich wüsste nicht, was es zwischen uns zu reden gäbe.«
    »Ganz der alte Sturkopf! Aber gut. Wenn es dich
tröstet: Ich bin nicht gekommen, um mit dir unsere Vergangenheit aufzuarbeiten.
Es ist etwas vorgefallen, über das ich mit dir reden muss.«
    »Sprich!«
    »Hier, im Treppenhaus?«
    Wolf überlegte kurz, bevor er die letzten Stufen
vollends hochstieg und seinen Schlüssel hervorzog. »Also gut. Komm rein.«
    Er machte Licht und legte an der Garderobe seine
Sachen ab, ohne sich um seinen unerwarteten Gast zu kümmern. »Wie geht’s
Arne?«, fragte er über die Schulter zurück.
    »Schön, dass du dich wenigstens noch an ihn erinnerst.« Mit einem Seitenblick auf Wolfs Barett
fügte er hinzu: »Deine frankophile Neigung scheinst du ebenfalls noch nicht
abgelegt zu haben, wie ich sehe.«
    »Warum sollte ich? Und was Arne betrifft: Er trägt an
dem ganzen Schlamassel ja wohl die geringste Schuld.«
    »Welche Schuld meinst du? Die Schuld, die du mir all
die Jahre über eingeredet hast? Was weißt du denn schon … im Grunde hat dich
doch gar nicht interessiert, was wirklich passiert ist.«
    »Darf ich dir etwas anbieten, Henning?«
    »Wie? Nein danke … Ich bin wegen Arne hier.«
    Wolf, der gerade dabei war, sich einen Pastis
einzugießen, hielt inne und sah ihn an … und plötzlich wusste er, an wen ihn
Arnes buschige Augenbrauen die ganze Zeit erinnert hatten. »Was ist mit Arne?«
    »Also, wie soll ich sagen …«
    »Oder soll ich einen Kaffee kochen?«
    »Nein danke, ich bin gleich wieder weg. Es ist so …
Arne hat in letzter Zeit immer häufiger nach dir gefragt, weiß der Kuckuck,
warum. Vor ungefähr zwei Wochen hat er von deiner Tätigkeit bei der Kripo in
Überlingen erfahren … hat wohl heimlich nachgeforscht …«
    »Ganz der Vater. Du arbeitest doch noch als
Zielfahnder für das LKA , oder?«
    »Ja. Warum?«
    »Nur so. Bitte red weiter.«
    »Da gibt’s nicht viel zu reden. Arne hatte die
Vorstellung, uns zusammenführen zu können. Nach so vielen Jahren seien die
Gründe für unser Zerwürfnis olle Kamellen, meinte er, wir sollten uns
gefälligst wie erwachsene Menschen benehmen. Als ich ihm keine Hoffnungen
machte, hat er damit gedroht, dich aufzusuchen.«
    Zum ersten Mal verschwanden die senkrechten Falten auf
Wolfs Stirn. »Er wollte mich weichkochen, nehme ich an! Donnerwetter, gewieftes
Kerlchen. Scheint ihn ja ganz schön umzutreiben, die Sache. Wie alt ist er
jetzt genau?«
    »Zweiundzwanzig. Und die ›Sache‹, wie du es nennst …
ach, was soll’s. Ich merke schon, du bist uneinsichtig wie eh und je.
Jedenfalls bin ich gekommen, um dich zu warnen – nicht dass du überrascht bist,
wenn eines Tages plötzlich dein Enkel vor dir steht und dich mit Fragen
löchert.«
    »Schon passiert«, antwortete Wolf seelenruhig und
weidete sich an Hennings verblüfftem Gesichtsausdruck.
    »Was soll das heißen? War Arne etwa bei dir?«
    »Was heißt ›war‹ ? Er ist es noch , zumindest für die nächsten drei Wochen.«
    »Das versteh ich jetzt nicht …«
    »Da gibt es nicht viel zu verstehen. Gestern fing ein
Praktikant bei uns an, von der Polizeifachhochschule in Villingen-Schwenningen
auf besonderen Wunsch hierher vermittelt. Als ich seinen Namen hörte, hab ich
mir nichts dabei gedacht. In der Polizeidirektion lässt er sich mit Terry
anreden. Und Rösch … mein Gott, wie sollte ich darauf kommen, dass er Veronikas
Namen angenommen hat?«
    »Weiß er, dass du weißt?«
    »Keine Ahnung. Auf alle Fälle will ich ihm Zeit geben,
sich zu erklären. Ist übrigens ein heller Kopf, dein Arne … na ja, bis auf die
Manie mit den Anglizismen. Aber die werden wir ihm auch noch

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