Seepest
Maschine darum zunächst auf den Atlantik hinausgezogen und dort eine
steile Linkskurve eingeleitet. Erst als ihre Schnauze wieder nach Osten zeigte,
war die Hawker in den Sinkflug übergegangen.
Fast schien es, als würde der Vogel mitten im
Lichtermeer von La Coruña landen. Karin stockte der Atem; Häuser, Straßen und
Autos waren zum Greifen nah. Kurz vor dem Aufsetzen entschied sich der Pilot
dann anscheinend doch noch für die Piste. Befreit atmete Karin auf, als die
Maschine ausrollte. Langsam wich die Anspannung aus ihrem Körper.
Der Aeropuerto de Alvedro lag nur wenige Kilometer
südlich des Stadtzentrums. Das Auschecken ging erfreulich flott vonstatten, und
noch ehe Karin recht zur Besinnung kam, hielt ihr Alex auch schon die Hand hin.
»Das war’s dann, Mädchen. Mach’s gut. Ich hab’s eilig.
Ein dringendes Meeting, du verstehst.«
»Was, jetzt noch, eine Stunde vor Mitternacht?«,
staunte sie.
»Tja, Öl, das aus einem leck geschlagenen Tanker
läuft, kennt nun mal keine Nachtruhe. Kann man dich erreichen? Wie lange
bleibst du überhaupt?«
»Keine Ahnung. Ein spanischer Bekannter hat mir für
diese Nacht ein Hotel besorgt. Alles Weitere findet sich. Übrigens würde ich
gerne ein Interview mit dir machen … nicht hier und heute natürlich, sondern
irgendwo draußen an der Küste, du weißt schon, wo das Inferno am größten ist.
Bist du einverstanden?«
»Ruf mich an, meine Handynummer hast du ja.«
Nochmaliges Händeschütteln, gefolgt von Küsschen auf
die Wange – dann zogen beide ihres Weges. Nach wenigen Metern drehte sich Karin
noch einmal um. »Wo wohnst du eigentlich?«, rief sie Alex nach.
»Am Ende der Welt«, rief er über die Schulter zurück.
Ein meckerndes Lachen begleitete seine Worte, und er eilte mit erhobenem Arm
von dannen.
Noch während sich Karin den Kopf über seine Antwort
zerbrach, hörte sie, wie jemand ihren Namen rief. Vor ihr stand plötzlich ein
junger Mann, ein Schüler fast noch, das markante, sonnengebräunte Gesicht von
einem wilden Haarschopf umrahmt. Fragend sah er sie an. »Du bist Karin, verdad ?«, formulierte er in flüssigem Deutsch. »Ich bin
José. Pablo schickt mich. Er lässt sich entschuldigen, kann erst morgen früh
hier sein. Ich soll dich zum Hotel bringen.« Schon griff er freundlich grinsend
nach ihrem Koffer.
»Moment mal, nicht so hastig!«, wehrte sie ab und
klopfte ihm auf die Finger. »Wo ist Pablo?«
»In Muxía.«
»Muxía?«
»Ja, eine Stadt an der Küste. Die Ölpest, sabes ?«
Langsam begriff Karin, offenbar hatte alles seine
Richtigkeit. Als sie wenig später das Flughafengebäude verließen, erlebte sie
eine weitere Überraschung: Während die Temperaturen in Überlingen derzeit kurz
über der Null-Grad-Marke herumkrebsten, lagen sie hier in La Coruña gut
fünfzehn Grad darüber. Und das zu dieser nachtschlafenden Zeit – phantastisch!
Überhaupt schienen hier die Uhren ein bisschen anders
zu ticken. So war José nicht wie erwartet mit einem Wagen erschienen, sondern
verfrachtete sie kurzerhand auf den Sozius seiner Enduro. Mit der einen Hand
krampfhaft ihren Koffer festhaltend, die andere Halt suchend um Josés Brust
gelegt, so brausten sie rasch der Innenstadt zu. Trotz der späten Stunde
herrschte noch immer lebhafter Verkehr. Irgendwann zog der Frachthafen an Karin
vorüber, die Altstadt kam, José bog nach links in eine Gasse ab – und das Ziel
ihres Horrortrips schien erreicht.
»Hier ist dein Hotel, Hotel ›La Palma‹. Pablo
entschuldigt, er hat nichts confortable … äh,
nichts Besseres für dich gefunden, es sind zu viele Leute in der Stadt. Die
Ölpest, sabes . Warte, ich helfe dir.«
»Danke, das schaff ich schon allein. Hat Pablo gesagt,
wie es weitergeht?«
»Morgen früh, acht Uhr. Wir holen dich ab, okay?«
»Okay, José. Und danke fürs Bringen. Bis morgen also.«
»Bis morgen.«
10
Wie kam der Kerl dazu, ihn ständig zu
treten, noch dazu in den Bauch … immerzu in den Bauch? Warum gelang es ihm
nicht, ihn abzuwehren? Wie er es auch anstellte, stets schlug er ins Leere, das
Treten hörte nicht auf, vielmehr schien es sich zu einem Trommelfeuer zu
steigern. Ein unangenehm schriller Ton mischte sich darunter, der beständig an-
und abschwoll und sich durch nichts unterbinden ließ – bis sich der Nebel
unversehens lichtete und er zu sich kam.
Ungestüm fuhr Wolf hoch. Hatte er alles nur geträumt?
Natürlich, so musste es sein.
Nun endlich erkannte er auch den Übeltäter: seine
Katze
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