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Seerache

Seerache

Titel: Seerache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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fürchtete er, einfach umzukippen; seine Hand löste sich kraftlos vom Steuerrad.
    Träumte er, oder war es Wirklichkeit?
    Auf der Schwimmplattform im Heck des Bootes stand eine schwarze Gestalt, in der Hand hielt sie eine Harpune. Ihr Äußeres verriet, wie sie an Bord gelangt war: Sie trug einen eng anliegenden Neoprenanzug. Die dazugehörige Ausrüstung hatte vermutlich beim An-Bord-Klettern gestört und war kurzerhand dem See geopfert worden.
    Langsam zog sich die Gestalt die Maske vom Gesicht.
    Wenn Sahin hätte sagen sollen, was ihn eher lähmte, das Gesicht des Mannes oder die Druckluftharpune in seiner Hand – er hätte sich ohne Zögern für das Gesicht entschieden. Dieses Gesicht hätte er unter Zigtausenden wiedererkannt, es war bis in alle Ewigkeit auf seiner Netzhaut eingebrannt.
    Es war das Gesicht seines Entführers.
    »Sie?«, brachte Sahin mit erstickter Stimme hervor.
    »Da schaust du, was? Hast mich wohl nicht so schnell zurückerwartet.« Mit zwei schnellen Schritten trat der Mann auf Sahin zu und drückte ihm die Spitze der Harpune auf die Brust. »Motor aus«, forderte er mit eisiger Stimme.
    Ohne Widerrede kam Sahin seiner Aufforderung nach.
    »Gut so. Und jetzt runter in die Kabine mit dir … wird’s bald, oder soll ich nachhelfen?«
    Sahin hatte den Mann bereits zur Genüge kennengelernt; er wusste, dass Widerstand zwecklos war. Auch von außen war keine Hilfe zu erwarten; weit und breit war kein anderes Boot in Sicht. Mit erhobenen Händen, jede hastige Bewegung vermeidend, stieg er die Stufen zur Kabine hinab. Er hatte sie noch nicht richtig betreten, da erhielt er von hinten einen heftigen Stoß, sodass er der Länge nach auf den Boden schlug. Ehe er reagieren konnte, rammte ihm der Mann sein Knie ins Kreuz.
    »Die Arme auf den Rücken«, befahl er barsch. »Gut so. Und jetzt die Hände übereinander.«
    Sekunden später hatte er ihn mit einem Kabelbinder gefesselt.
    »Okay, du kannst dich jetzt wieder umdrehen und aufsetzen«, schnauzte der Mann. Ohne sich weiter um ihn zu kümmern, verschwand er für eine kurze Weile in der Achterkabine. Sahin fragte sich besorgt, was er dort wohl suchte.
    Er war kaum zurück, da drang von draußen ein Wummern zu ihnen in die Kabine – als hätte an Steuerbord ein Boot angelegt. Fast gleichzeitig hörten sie eine Frauenstimme rufen.
    »Hallo! Hallo, Herr Sahin, kann ich an Bord kommen? Ich muss Sie sprechen.«
    Mit beiden Händen umkrampfte der Mann die Harpune, den Finger schussbereit an den Abzug gelegt. »Erwartest du jemanden?«, zischte er.
    »Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Sahin tonlos.
    ***
    Wäre der heutige Tag ein Fisch gewesen, Jörg Peschke hätte ihn wieder ins Wasser zurückgeworfen. Nachdem die Kommissarin – glücklicherweise unverrichteter Dinge – wieder verschwunden war, glaubte er, das Schlimmste überstanden zu haben. Doch da irrte er.
    Zum zweiten Mal an diesem Tag bekam er denkwürdigen Besuch. Auch diesmal war es Kosch, der ihn in den Verkaufsraum holte, und auch diesmal schien alles ganz harmlos zu beginnen.
    Zugegeben, ein bisschen erschrocken war er schon, als Christian Kosch ihm die beiden martialisch gekleideten Riesenbabys vorstellte. Diese Typen namens Igor und Buddy sollten sich für Antiquitäten interessieren? Schwer zu glauben. Doch Peschke befand, irren sei menschlich, und schon die erste Frage des Wortführers der beiden schien ihm recht zu geben.
    »Wir suchen Geschenk für unsere Freund, Preis spielt keine Rolle. Ist für neue Haus, wissen Sie? Vielleicht ein … äh, wie heißt jetzt …«
    »Skulptura«, sprang der andere ein.
    »Genau, vielleicht ein Skulptura?«, erläuterte Igor. »Unsere Freund lieben Skulptura – und er lieben Asien. Wie ist, haben Sie kein Skulptura aus Asien? Japan, China, Sie verstehen?«
    »Ah! Sie meinen vermutlich eine Statue, eine Statue aus einem asiatischen Land. Aber natürlich haben wir das. Wir sind gewissermaßen die Nummer eins in Asiatika, zumindest hier am Bodensee. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«
    Igor schien nicht zu verstehen. »Asiatika?«
    »So heißen die Stücke, die aus Asien kommen«, erläuterte Peschke. Was für Hinterwäldler, dachte er auf dem Weg zum Lift. Nun, wenigstens brauchte er sich für seinen museumsreifen Lastenaufzug bei denen nicht zu entschuldigen.
    Ohne Zwischenfälle erreichten sie das Untergeschoss, wo Peschke sie zu einem deckenhohen weißen Wandregal mit geräumigen Fächern führte. »So, meine Herren, hier haben wir,

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