Seerache
Unterlippe und sah zur Decke hoch. Dann endlich hatte sie sich zu einer Entscheidung durchgerungen. Sie setzte sich wieder auf und sah ihn herausfordernd an.
»Also gut. Hör zu.«
12
Auf der Rückfahrt hatte Wolf eine Tüte Butterbrezeln besorgt. Nachdem er sie auf einen Teller geschichtet hatte, platzierte er diesen auf dem Besprechungstisch. »Wo treibt sich eigentlich Dicky herum?«, fragte er nebenbei.
»Ist in Sachen Barmann unterwegs«, antwortete Jo überraschend einsilbig. Sie hatte – trotz der vorgerückten Zeit – nun schon zum dritten Mal an diesem Tag Kaffee gekocht, goss ihn in die bereitstehenden Tassen und stellte Milch und Zucker dazu. Vespermanns Tasse ließ sie leer.
»Geht’s vielleicht etwas ausführlicher?«, fragte Wolf leicht genervt.
»’tschuldigen Sie, Chef, mehr weiß ich auch nicht. Er könne nicht tatenlos hier herumsitzen, während wir ermitteln, meinte er. Wenn ich richtig verstanden habe, wollte er sich den Tatort hinter der ›Roxy-Bar‹ einmal persönlich ansehen.«
»Weiß er von unserem Termin?«
»Aber sicher. Ich hab ihm gesagt, dass Sie für neunzehn Uhr eine Lagebesprechung anberaumt haben. Er meinte, bis dahin sei er längst zurück.«
In diesem Augenblick wurde im Büro nebenan die Tür aufgerissen, jemand warf etwas auf einen Schreibtisch, dann trappten ein paar schnelle Schritte. Sekunden später erschien Vespermann in der Verbindungstür. »Herrje, Kaffee mit Butterbrezeln! Das ist ja wie im Schlaraffenland«, jubelte er und setzte sich auf den Stuhl vor der leeren Tasse. »Darf ich?«, fragte er leicht außer Atem. Ohne auf eine Antwort zu warten, griff er nach der Kanne. »War recht erfolgreich, das muss ich schon sagen. Eigentlich ist der Fall so gut wie gelöst … na ja, beinahe wenigstens. Also, wo soll ich anfangen?« Erwartungsvoll sah er zu Wolf hinüber.
Der hob abwehrend beide Hände. »Immer schön der Reihe nach, lieber Bert …«
»Gerd. Ich heiße Gerd.«
»Entschuldige, Gerd, aber der andere Fall hat inzwischen absolute Priorität.« Er nippte an seiner Tasse, bevor er sie bedächtig abstellte.
Jo, die zunehmend kribbeliger wurde, ergriff das Wort. »Spannen Sie uns nicht länger auf die Folter, Chef. Was hat sich draußen auf dem See getan? Haben Sie Sahin gefunden? Hat er den Personenschutz akzeptiert?«
Wolf winkte ab. »Nicht so hastig. Ein alter Mann ist doch kein D-Zug.«
»Gibt’s schon lange nicht mehr«, knurrte Vespermann muffig.
»Was?«
»Na, den von dir angesprochenen D-Zug. Der heißt jetzt ICE .«
»Ach nee.« Wolf setzte zu einer harschen Antwort an, besann sich dann aber. Es machte wenig Sinn, den Neuen gegen sich aufzubringen. Möglicherweise tat er ihm sogar unrecht – zumindest dann, wenn seine Einlassungen weniger als Retourkutsche denn als Bemühen um sprachlich korrekte Ausdrucksweise aufzufassen waren. Ein bisschen pedantisch war ihm der Kerl ja gleich vorgekommen. »Okay, Schwamm drüber«, lenkte er ein. »Unser Fall ist weiter denn je von einer Lösung entfernt. Genau genommen ist der Einsatz draußen auf dem See so ziemlich aus dem Ruder gelaufen.«
»Was? Wieso?«, fragten Jo und Dicky wie aus einem Mund.
»Nun, nach der Durchsuchung von Hörmanns Wohnung – ein Dreckstall, wie er im Buche steht – bin ich mit dem Wapo-Boot rausgefahren, und es dauerte auch nicht lange, bis wir die ›Anisha‹ gefunden hatten.« Er schilderte den Ablauf der Fahrt in allen Einzelheiten, ebenso die Geschehnisse auf der Jacht, von denen ihm Karin Winter berichtet hatte. Gespannt hörten Jo und Vespermann zu.
Als er endlich zum Ende kam, hakte Jo nach: »Und was ist mit der Winter? Ist sie okay?«
»Tja, die hat sich überraschend schnell erholt, obwohl der Notarzt ein posttraumatisches Belastungssyndrom – auf gut Deutsch: einen Schock – diagnostiziert hat. Aber du kennst ja die Winter, die ist hart im Nehmen.«
»Die Jacht ist also gesunken und der gesuchte Sahin mit ihr, hab ich das richtig verstanden?«, vergewisserte sich Vespermann.
»So ist es.«
»Gibt es Hinweise auf die Identität des Täters?«
»So gut wie keine. Der Mann trug bis zuletzt eine Sturmhaube, sein Gesicht hat die Winter nie gesehen. Alles, was wir haben, ist eine vage Personenbeschreibung in Bezug auf Größe und Statur. Ach ja, an seiner linken Hand fehlt vermutlich der kleine Finger. Das war’s denn auch schon.«
»Was passiert jetzt mit Sahin und der Jacht?«, wollte Jo wissen.
»Ein Bergungsschiff ist unterwegs.
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