Seerache
Steuer übernommen. »Keine Sorge, hab alles im Griff«, behauptete er. Mit einem kritischen Seitenblick auf seinen Beifahrer fügte er hinzu: »Entschuldige, Leo, aber die höheren Weihen der mediterranen Küche scheinen dir abzugehen. Äh … wie muss ich eigentlich fahren?«
Wolf kratzte sich am Kopf, ohne das Barett abzunehmen. »Gleich da oben kommst du auf die B31. Die Einmündung ist etwas haarig, also pass auf. Danach immer geradeaus bis zur Ausfahrt Meersburg. Die Zufahrt zur Fähre ist ausgeschildert.«
»Wo waren wir stehen geblieben?«, fuhr Vespermann fort, als sie die Bundesstraße erreicht hatten. »Ah ja, die mediterrane Küche. Gestern Abend zum Beispiel hab ich mir eine Moussaka gemacht … delikat, sag ich dir.« Sein Gesicht nahm einen verklärten Ausdruck an, genießerisch führte er die Fingerspitzen der linken Hand an die zum Kussmund geformten Lippen, dazu schnalzte er mit der Zunge. »Und weißt du, was das Geheimnis ist? Na? Richtig: der Knoblauch. Du musst eine oder zwei Zehen mehr nehmen, als im Rezept steht. Ach, ich könnte sterben für Moussaka.« Theatralisch hob er beide Hände.
»Na ja, zur Not kannst du ja deinen Sitz weiter nach hinten stellen – falls das noch geht«, bemerkte Wolf mit Blick auf Dickys Wampe. Und in der Tat: Zwischen die bemerkenswerte Wölbung und das Lenkrad passte kein kleiner Finger mehr. Dass Vespermann ob solcher Bemerkungen nicht eingeschnappt war, erstaunte Wolf immer wieder aufs Neue.
»Nur kein Neid, wer hat, der hat«, antwortete Vespermann aufgeräumt, bevor er übergangslos geschäftlich wurde. »Wo ist eigentlich Jo?«
»Nimmt die Hotelsuite von Sahin auseinander.«
»Aha. Und um was genau geht es nachher in Konstanz? Da soll ein Boot gehoben werden, hab ich das richtig verstanden? Deine Nachricht gestern Abend klang etwas wirr. Es kann sich ja wohl kaum um das Boot dieser Zeitungstante gehandelt haben.« Er grinste. »Pardon, ich meine natürlich von Frau Winter.«
Wolf hatte nicht die Absicht, sich provozieren zu lassen. Bei so viel Ignoranz ist Hopfen und Malz verloren, dachte er. Einen Augenblick lang spielte er ernsthaft mit dem Gedanken, sich eine Gitanes anzuzünden. Er hatte die Schachtel schon halb aus der Tasche gezogen, als er sie doch wieder zurücksteckte. Er wollte und konnte Dicky nicht verprellen, dazu war ihre Personaldecke einfach zu dünn. Also gab er sich einen Ruck und wiederholte in knappen Sätzen, was sie in Konstanz erwartete.
Zwischenzeitlich hatten sie die Oberstadt von Meersburg durchfahren und rollten auf der kurvenreichen Straße zum See hinab. Wenig später reihten sie sich in die Wartespur zur nächsten Fähre ein.
Vespermann hatte den Fiat kaum zum Stehen gebracht, da riss Wolf auch schon die Tür auf. Raus, nur noch raus aus dem betäubenden Knoblauchdunst. Ob es nun daran lag, dass er beim Aussteigen zu viel Schwung entwickelt oder die Proportionen des Fiat überschätzt hatte – er schlug mit dem Kopf gegen den Türholm, und sein Barett fiel auf die Fahrbahn. Schnell bückte er sich und setzte es wieder auf. Doch der kurze Moment hatte genügt, um Vespermanns Aufmerksamkeit zu wecken.
»Du liebe Zeit … wer hat dich denn skalpiert?«
»Dienstunfall«, brummte Wolf. Er hatte gehofft, die Kahlstelle auf seinem Kopf könnte Vespermann entgangen sein und ärgerte sich über dessen Dickfelligkeit. Doch schon im nächsten Augenblick hatte er eine Gitanes zwischen den Lippen und paffte genießerisch vor sich hin, dabei langsam ein paar Schritte um den Wagen gehend.
»Weißt du, was mir die ganze Zeit im Kopf herumgeht?«, fragte Vespermann durchs offene Wagenfenster.
»Du wirst es mir gleich sagen, nehme ich an.« Wolf tat desinteressiert und spuckte einen Tabakkrümel aus.
»Das Gespräch mit Sommer, du erinnerst dich?«
»Du meinst seine Frage, warum der Täter sich mit dem Anschlag auf Sahin so viel Mühe gemacht hat?«
»Ja. Er hätte den Türken auf bedeutend einfachere Weise um die Ecke bringen können.«
»Kann man so sehen«, antwortete Wolf, das Wort »Türke« großzügig überhörend. »Vielleicht hat der Täter sein Vorgehen gewählt, um möglichst wenig Aufsehen zu erregen? Genauso gut könnte man dann aber auch fragen, warum es Hauschild in seinem Penthaus und Hörmann in seinem Wagen traf. Das bringt uns im Moment nicht weiter, finde ich.«
»Du hast recht.« Nach kurzem Nachdenken fuhr Vespermann fort: »Vielleicht sollten wir uns auch mal ernsthaft fragen, weshalb der Täter
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