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Seeteufel

Seeteufel

Titel: Seeteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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Konferenzraum. Kaum hatten alle Platz genommen, hob der Chefredakteur die Hand, um das herrschende Stim- mengewirr zu beenden. Da öffnete sich die Tür noch einmal, und Karin Winter schlüpfte herein. Mit einer entschuldigenden Geste nahm sie ihren angestammten Platz ein. Jede andere hätte sich durch ihr Zuspätkommen zumindest eine süffisante Bemerkung Matuscheks eingehandelt. Bei Karin Winter sah er darüber hinweg. Von den meisten wurde diese bevorzugte Behandlung klaglos akzeptiert, zumal Karin im Allgemeinen die Pünktlichkeit in Person war.
    Â»Lassen wir die Morde an den Pennern zunächst außer Acht. Ich denke, Karin ist heftig am Recherchieren.« Als sie nickte, fuhr er fort: »Wenn wir die übrigen Themen abgehandelt haben, sehen wir, wer ihr eventuell unter die Arme greifen kann, falls es erforderlich werden sollte. Also, was haben wir noch? Wer kümmert sich um die Bahnstreiks?« Eine Hand hob sich, noch eine, mehrere Teilnehmer in der Runde sprachen durcheinander. Matuschek klopfte auf den Tisch. »Also Sybille und Tom. Haben wir Bilder?« Sybille nickte. »Gut. Nächster Punkt: der Unfall auf der Fähre.« Wieder fuhr eine Hand nach oben, mit wenigen Sätzen war auch dieses Thema eingekreist und verabschiedet.
    Matuschek blickte in die Runde, um schließlich eine junge Kollegin mit freizügig ausgeschnittenem türkisfarbenem T-Shirt anzusprechen: »Elvira, ich hätte gerne, dass du das Interview mit dem Regierungspräsidenten …«
    In diesem Augenblick klopfte es. Fast gleichzeitig wurde die Tür aufgerissen, und Monika Bächle stürmte herein. Sie reichte Karin Winter ein Kuvert. »Wurde eben für dich abgegeben, soll dringend sein«, erklärte sie. Schon war sie wieder verschwunden.
    Während Matuschek fortfuhr, riss Karin die Hülle auf. Nach kurzem Zögern zog sie ein Blatt heraus, entfaltete es und starrte verständnislos auf einen Fotoausdruck. Er zeigte im Vordergrund einen ovalen Esstisch mit einem Läufer drauf, von vier Thonet-Stühlen umstanden. Dahinter war eine Balkontür zu sehen, durch die sich, etwas verdeckt von einer mit Geranien- und Petunienkästen behängten Brüstung, der Blick auf den See bis hinüber ans waldreiche Südufer mit seinen malerischen Dörfern öffnete. Alles ganz unspektakulär, ein Ausschnitt, wie man ihn rings um das Schwäbische Meer in vielen Häusern hätte fotografieren können – wäre da nicht dieser seltsame Gegenstand gewesen, der, mitten auf dem Tisch, Karins Blick magisch anzog. Sie führte das Blatt näher an die Augen. Ihre Hand begann zu zittern, das Blut rauschte in ihren Ohren, doch der Gegenstand blieb, was er war: ein Auge, ein Riesenauge, besser: ein starrender, feucht glänzender Augapfel, mitten auf ihrem Tisch. Denn daran bestand kein Zweifel: Das Bild zeigte ihren Tisch! In ihrer Wohnung auf dem Burgberg, in der sie sich knapp eine Stunde zuvor noch aufgehalten und die sie beim Verlassen mit absoluter Sicherheit abgeschlossen hatte. Ganz deutlich erinnerte sie sich, den Schlüssel, wie jeden Tag, zweimal im Schloss umgedreht und abgezogen zu haben.
    Wie, um Gottes willen, kam dieses unheimliche Gebilde auf ihren Tisch, dieses schreckliche, glatte, glibschige Ding, das sie unverwandt anstarrte? Einen kurzen Moment lang glaubte sie an einen Scherz, an einen Alptraum, aus dem sie sogleich erwachen würde, und alles wäre wieder wie zuvor. Doch das Bild war eindeutig Realität – eine Realität, der sie sich stellen musste. Je eher sie das akzeptierte, desto besser. Verstohlen sah sie sich um; noch war niemand auf sie aufmerksam geworden. Langsam kehrte ihr Kampfeswille zurück. Nein, so einfach würde sie sich nicht unterbuttern lassen!
    Sie zwang sich, jedes auch noch so kleine Detail auf dem Foto genau zu betrachten – doch außer dem Auge war nichts zu erkennen, das ihren Verdacht erregt hätte. Dann fiel ihr ein, dass ja jedes Blatt zwei Seiten hatte. Sie drehte den Ausdruck um. Auf der Rückseite stand, mit einem Computer geschrieben, nur ein einziger kurzer Satz: »Halt dich raus«. Eine Botschaft, an Klarheit nicht zu überbieten. Doch von wem kam sie?
    Sie hatte die Bedeutung der drei Worte noch nicht richtig erfasst, als ihr blitzartig klar wurde, dass es sich bei den Initiatoren dieser mehr als makabren Inszenierung um dieselben Leute handeln musste, die ihr am

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