Seeteufel
Grundeinstellung dieser Leute nicht viel zu ändern.
Jo nahm sich vor, bis längstens acht Uhr auszuharren. Falls Göbbels bis dahin nicht auftauchte, konnte sie immer noch zu den Leuten hinübergehen und sie auf sein Verschwinden ansprechen. Schlimmeres als eine rüde Abfuhr hatte sie nicht zu erwarten.
Da plötzlich gesellte sich, wie aus dem Nichts aufgetaucht, ein weiterer Mann zu der Gruppe. Wie elektrisiert fuhr Jo hoch. Wo hatte sie dieses stoppelbärtige Gesicht, diese fettig-verfilzten Haare schon einmal gesehen? Der Mann, um die vierzig und hochgewachsen, war mit einem dicken, abgetragenen Wollmantel bekleidet, der seine offenbar gut trainierten Muskeln eher hervorhob denn verbarg. Seine Hände steckten tief in den Manteltaschen.
Merkwürdig, Jo hatte plötzlich den Geruch billigen Fusels in der Nase â und beim Gedanken daran fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Natürlich, das war der Penner, den sie gestern Abend am Gondelhafen vernommen hatten. Der Mann hatte vorgegeben, Otto nicht gekannt zu haben. Sekunden später war er wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Jos Misstrauen war geweckt.
Wieso war der Mann hier aufgekreuzt? Wieso ausgerechnet jetzt? Selbst aus der Entfernung konnte Jo erkennen, dass ihm die Gruppe wenig Wohlwollen entgegenbrachte. Scharfe Worte flogen hin und her, dabei blieben Haltung und Mimik des Mannes unverändert. Endlich schienen die lagernden Penner nicht weiter Notiz von ihm zu nehmen. Ein Einzelgänger? Ein AusgestoÃener? Oder gar ein Kontrahent? Sie nahm sich vor, ein Auge auf ihn zu haben.
Unauffällig folgte Jo dem Mann, als er sich wenig später in Richtung Innenstadt entfernte. Zielstrebig und ohne sich umzublicken überquerte er den Landungsplatz, gleich darauf die Hofstatt, passierte anschlieÃend die weitläufige Münsteranlage und nahm den Weg durch die enge Spitalgasse hinauf zur Oberstadt, wo er zu Jos Verwunderung in einem Parkhaus verschwand.
In einem Parkhaus? Was hatte ein Penner in einem Parkhaus zu suchen?
In sicherer Entfernung, stets von abgestellten Autos gedeckt, folgte sie dem Mann zunächst zum Kassenautomaten und anschlieÃend auf das obere Parkdeck, wo er sich ohne Zögern an einem Fahrzeug zu schaffen machte. Zu Jos Verblüffung stieg der Kerl in den Wagen, einen weiÃen Golf älterer Bauart mit einem Kennzeichen des Bodenseekreises. AnschlieÃend setzte er zurück, um sich langsam in Richtung Ausfahrt zu entfernen.
Wie kam ein so offenkundig aus der Bahn geworfener Bursche zu diesem Auto? Jo geriet in Panik. Irgendetwas war hier oberfaul! Sollte sie Verstärkung rufen? Doch dafür fehlte die Zeit. Sie beschloss, dem Wagen zu folgen â als ihr einfiel, dass ihr Beetle unten am See stand. Verdammter Mist! Was sollte sie tun?
Im Laufschritt rannte sie dem Ausgang zu. Noch während sie erwog, den Golf unten an der Schranke anzuhalten, fuhr eine Taxe vor und hielt in geringer Entfernung zum Eingang des Parkhauses an. Ein Mann stieg aus, kramte umständlich nach seiner Geldbörse und reichte dem Fahrer schlieÃlich einen Geldschein durchs Fenster. Mit wenigen Schritten war Jo bei dem Wagen, drängte den Passagier unsanft zur Seite und hielt dem Fahrer ihren Dienstausweis hin. »Kripo Ãberlingen. Bitte folgen Sie dem weiÃen Golf, der dort gleich aus der Ausfahrt kommt.«
»Wenn Sie mich bezahlen, sollâs mir recht sein, Lady â oder ist mein Wagen konfisziert?«
Jo schüttelte den Kopf und bedeutete dem Fahrer, sich bereitzuhalten. Als der Golf auftauchte, heftete er sich ohne weiteren Kommentar an dessen Fersen. Fast hatte es den Anschein, als wären Verfolgungsfahrten für ihn etwas Alltägliches. Jo brauchte überhaupt nicht einzugreifen, routiniert achtete der Fahrer darauf, ständig einen oder zwei Wagen zwischen sich und dem Golf zu lassen, um die Aufmerksamkeit des Verfolgten nicht unnötig auf sich zu lenken und bei überraschenden Manövern schnell reagieren zu können.
Die Fahrt führte zunächst in östlicher Richtung über die Hizler- und die Sankt-Ulrich-StraÃe hinunter zur stadtauswärts führenden Nussdorfer StraÃe. Gleich darauf bog der Golf in eine schmale SeitenstraÃe ab, unterquerte die Bahnlinie nach Markdorf und erreichte schlieÃlich den Strandweg, der parallel zum Seeufer nach Nussdorf hinaus führte. Am groÃen Parkplatz des Strandbades Ost war die Fahrt zu
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