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Seeteufel

Seeteufel

Titel: Seeteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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und ihre ganze Kraft in die mitschwingenden Stöcke zu legen. Tatsächlich verfehlte ihr Rundumschlag den Kopf des Mannes nur um Haaresbreite; er hatte sich gerade noch rechtzeitig weggeduckt. Ein höhnisches Lachen quittierte ihren Misserfolg.
    Schneller, als Karin es dem pummeligen Mann zugetraut hätte, hob er seine Stöcke zum erneuten Stoß. Doch Karin war auf der Hut. Ohne lange zu fackeln, ließ sie ihre eigenen Stöcke los und packte zu, zog den Mann mit einem kräftigen Ruck zu sich heran. Dabei kam ihr der Umstand zustatten, dass dessen Hände noch immer in den Stockschlaufen steckten. Halb gezogen, halb vom eigenen Schwung getrieben, stolperte er auf sie zu. Als sie hart aufeinanderprallten, kamen sie der steilen Rampe für einen Augenblick gefährlich nahe. Nur mit Mühe konnte Karin das Gleichgewicht halten und sich zwei, drei Schritte nach hinten absetzen. Hätte sie in diesem Moment weniger Skrupel gehabt, sie hätte ihren Gegner leicht in den Abgrund stoßen können.
    Stattdessen drehte der Mann den Spieß nun um. Als wolle er Karin die Stöcke entreißen, wechselte er mehrfach in schneller Folge von Zug auf Druck und drängte sie dabei immer näher an die steile Absprungrampe. Karin ahnte, was sie dort erwarten würde. Der Mann bräuchte nur noch die Stöcke loszulassen, schon würde sie unweigerlich in die Tiefe segeln, und wenige Sekunden später wäre alles vorüber. Die Aussicht daran raubte ihr für einen kurzen Moment den Verstand, schien sie förmlich zu paralysieren. Wahrhaftig, so hatte sie sich das Ende nicht vorgestellt! Mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung sah sie in das Gesicht ihres Gegners, nahm das Glimmen in seinen Augen wahr und registrierte sein selbstgefälliges Grinsen – als wäre der Kampf bereits entschieden.
    Genau diese scheinbare Unabänderlichkeit war es, die Karins Kräfte noch einmal mobilisierte – das und ihre Wut. Ihr Denkapparat lief auf Hochtouren, und im Bruchteil von Sekunden gebar er so etwas wie einen Plan: Wenn sie sich schon nicht gegen den körperlich überlegenen Mann behaupten konnte – warum dann nicht eine Finte versuchen? Was hatte sie schon zu verlieren? Ihr Leben natürlich – dagegen zählte alles andere nichts. Doch Fairness war das letzte, das sie sich leisten konnte. Nicht in ihrer Lage.
    Sie musste den Kerl dort treffen, wo es wirklich wehtat!
    Sie lockerte für einen kurzen Moment wie resigniert ihren Griff, um gleich darauf umso fester anzuziehen. Gleichzeitig hob sie ihr rechtes Knie und stieß es mit aller Macht dem Mann zwischen die Beine.
    Die Wirkung war frappierend. Während die Augen des Mannes zusehends glasig wurden und er keuchend und sich krümmend nach Luft schnappte, lösten sich seine Hände von den Stöcken. Stöhnend presste er beide Arme in den Schritt, bemüht, der Schmerzwelle, die sein empfindlichstes Körperteil durchflutete, Herr zu werden.
    Schnell trat Karin einen Schritt zurück und holte mit den Stöcken aus, um den Kerl mit einem kräftigen Hieb endgültig von den Beinen zu holen. Dummerweise übersah sie dabei eine hochstehende Wurzel. Sie blieb daran hängen und geriet ins Straucheln, ihr rechter Fuß knickte um, mit einem Aufschrei ging sie zu Boden.
    Von jetzt auf nachher schienen die Schmerzen des Mannes verflogen. Karin konnte gar nicht so schnell denken, wie er über sie herfiel, ihr mit einem Ruck die Stöcke entriss, mit seinen kräftigen Fäusten ihre Oberarme packte und sie trotz heftiger Gegenwehr in Richtung Rampe schob. Es gab keine Hoffnung, sich aus dem tödlichen Klammergriff zu befreien, so sehr sich Karin auch anstrengen mochte.
    Â»Das war’s also«, dachte sie, als sie die Kante des ehemaligen Steinbruchs auf sich zukommen sah.
    Da hörte sie die Stimme.
    Karin hielt diesen Moment für ihre erste und wahrscheinlich einzige Nahtoderfahrung. Die verzerrte, körperlose, wenn auch deutlich vernehmbare Stimme kam gewissermaßen aus dem Off, war ihr seltsam fremd und doch irgendwie bekannt.
    Â»Lassen Sie sofort die Frau los«, schallte es laut vom Talgrund herauf. »Treten Sie zurück und legen Sie sich auf den Boden, oder wir machen von der Schusswaffe Gebrauch. Los, runter auf den Boden, aber ein bisschen plötzlich.«
    Nein, diese Stimme hatte sich Karin nicht eingebildet. Sie war real. Und plötzlich wusste sie auch,

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