Seeteufel
wem sie gehörte: Es war unverkennbar die Stimme von Hauptkommissar Wolf. Sie wurde verstärkt durch ein Megafon, deshalb dieser seltsam metallische Klang. Wie real das Ganze war, erkannte Karin daran, dass ihr Peiniger sie umgehend loslieÃ. Sprungbereit stand er über ihr, lauschte angespannt in den Wald hinein. Und tatsächlich, von halbrechts schienen Leute durchs Unterholz zu brechen, entfernt noch, aber deutlich vernehmbar. Fluchend machte der Mann auf dem Absatz kehrt und hastete das kurze Wegstück zurück, das zu der Absperrung am Hauptweg führte.
Karin wusste kaum, wie ihr geschah. Erst jetzt machte sich die ganze nervliche Anspannung der letzten Minuten bemerkbar. Mit zitternden Beinen versuchte sie aufzustehen. Als es ihr endlich gelang, musste sie sich mit beiden Händen an einer jungen Buche festhalten, um nicht sofort wieder zu Boden zu stürzen. Mit grenzenloser Erleichterung sah sie dem Flüchtenden nach. Sekunden später hatte ihn der Wald verschluckt. Erst jetzt fiel ihr auf, dass während der ganzen Auseinandersetzung kein Wort gefallen war. Sein Fluch eben war, neben einem höhnischen Lachen, der einzige Laut gewesen, den er von sich gegeben hatte.
Geradezu ein Wunder aber war, dass Wolf und seine Leute ausgerechnet jetzt hier auftauchten. Wie kamen sie hierher? Wer hatte sie verständigt?
Unvermittelt spürte sie den Schmerz in ihrem rechten Sprunggelenk. Sie bückte sich, um den geschwollenen Knöchel zu massieren, als unweit von ihr ein lauter Ruf ertönte: »Halt! Stehen bleiben, oder ich schieÃe!« Die Geräusche brechenden Unterholzes verstärkten sich, kamen näher, abermals hörte sie die Aufforderung und schärfer diesmal, dann fiel ein Schuss, gefolgt von einem unterdrückten Fluch.
Sekunden später tauchte eine Gestalt vor Karin auf. Vögelein. Besorgt trat er an sie heran. »Sind Sie in Ordnung, Frau Winter?«
Als sie nickte, ging er vor an den Rand des Abbruchs und rief hinunter: »Alles in Ordnung, Chef. Frau Winter ist okay. Der Täter allerdings ist flüchtig.«
*Â *Â *
Karin Winters Knöchelverletzung erwies sich als weniger ernst, als anfangs befürchtet. Trotzdem musste sie sich während des nachfolgenden FuÃmarsches bei Vögelein aufstützen. Am Waldrand wurden sie von Wolf in Empfang genommen. Der lud die beiden in seinen Wagen und fuhr zunächst den Wanderparkplatz an. Dort wechselte Vögelein in sein Dienstfahrzeug, um die Suche nach Neidling fortzusetzen, während Karin Winter mit groÃen Augen auf die Ãberreste ihres Fahrzeugs starrte.
»Ja, die Karre ist hinüber, tut mir leid«, versuchte Wolf sie zu trösten.
Merkwürdig, bei dem Anblick des Autowracks überkam Wolf plötzlich die Lust auf eine Gitanes; Sekunden später paffte er bereits blaue Wolken aus dem heruntergekurbelten Fenster.
»Sagen Sie, hatten Sie eigentlich ihr Handy nicht dabei?«
Karin machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Hab ich im Wagen liegen lassen, der Akku war leer.«
»Fällt Ihnen noch ein, worum es bei den letzten Telefonaten ging, die Sie im Wagen geführt haben?«
»Warum fragen Sie?«
»Sag ich Ihnen gleich. Also?«
Karin überlegte kurz. »Es ging fast immer um die Erbschaftsgeschichte, soweit ich mich erinnere. Beim letzten Gespräch stellte mir Friedhelm Sonntag neue Informationen in Aussicht, die uns möglicherweise entscheidend weitergebracht hätten.«
Wolf spuckte einen Tabakkrümel aus dem Fenster, dann sah er Karin einen Moment lang prüfend an. Stand sie noch unter Schock, oder würde sie das, was er ihr zu sagen hatte, schadlos verkraften? Ja, sie würde, entschied er und nickte ihr zu.
»Die Feuerwehr hat in dem Twingo eine Wanze entdeckt. Sie wissen â¦Â«
»Ich weià sehr wohl, was eine Wanze ist, Herr Wolf.«
»Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Wie lange fahren Sie eigentlich den Wagen schon?«
»Lange genug«, antwortete Karin und vergrub das Gesicht in den Händen.
Wolf startete den Wagen und schlug den Weg Richtung Ãberlingen ein. Dort brachte er Karin Winter zu einem Orthopäden, ihr Fuà musste untersucht und vermutlich geröntgt werden. Als er hörte, dass die Prozedur voraussichtlich nur eine halbe Stunde dauern würde, entschloss er sich, auf sie zu warten. Danach wollte er mit ihr zur Polizeidirektion fahren, um die Vorgänge
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