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Segel aus Stein

Segel aus Stein

Titel: Segel aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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verbringen? Hätte es auch andere als positive Seiten?
    Er drehte sich wieder zum Wasser um. Er dachte an das Gespräch, das er mit Johanna Osvald in seinem Zimmer geführt hatte. Sie hatte nah am Meer gelebt, viel näher, als er dem Meer jemals kommen würde. Ihre ganze Familie. Nicht nur nah am Meer. Auf dem Meer. Das Meer war ihr Leben gewesen, war ihr Leben. Leben und Tod. Der Tod war für eine Fischerfamilie auf andere Weise wirklich, so viel meinte er zu verstehen. Ein Arbeitsleben mit der Gefahr, ein Leben mit Sorge für den, der zu Hause blieb.
    Früher muss es noch viel gefährlicher gewesen sein. Der Krieg. Die Minensperren, U-Boote, Jäger, die Küstenwache. Die Stürme, Wellen, Kollisionen, Unfälle an Bord, Druck von Allen Seiten. Es muss ein riesiger Druck gewesen sein. Wie sind sie damit fertig geworden?
    Die Arbeitskameraden. Was für ein Leben führten sie miteinander?
    Er hatte Johanna Osvald zugehört und begann zu begreifen, worüber sie eigentlich gesprochen hatte. Hinter ihren Worten war eine Sorge gewesen, die er nicht verstanden hatte, an die er jedoch jetzt dachte. Eine Angst, die von Generation zu Generation zu Generation vererbt wurde.
    Er setzte sich in den Sand, der immer noch warm vom Sommer war. Er hörte zwei Möwen lachen. Er sah sie jetzt, beim Einflug auf sein Grundstück, bald sein Grundstück. Waren die im Preis inbegriffen? Machten sie sich darüber lustig? Jetzt lachten sie wieder, landeten elegant auf dem Pfad, hoben wieder ab, krächzten noch ein Lachen in seine Richtung, kehrten zu den Winden der Bucht zurück und glitten hinaus aufs Meer. Er folgte ihnen mit dem Blick, bis sie verschwanden und er nur noch die Konturen der Inseln der südlichen Schären sah. Er holte sein Handy hervor und rief wieder an, quer über die Bucht zu den Inseln, aber auch diesmal meldete sich niemand.
    Johanna war das Schönste, was er bis dahin gesehen hatte. Sie war dunkel wie keine andere, als würde sie von einem anderen Volk abstammen, was gewissermaßen ja auch zutraf.
    Er kannte ihren Bruder, er war damals schon im Begriff gewesen, hinaus aufs Meer zu gehen. Er hieß auch Erik.
    Ihn hatte Johanna nicht erwähnt, als sie Winter aufsuchte.
    Er und Erik hatten beim Anleger von Brännö einmal ein Bier getrunken, waren aber nicht zum Tanzen hinaufgegangen. Sie hatten sich unterhalten, Winter erinnerte sich jedoch nicht daran, worüber. Er erinnerte sich, dass Erik nicht geflucht hatte. Er erinnerte sich daran, dass er mit Johanna darüber gesprochen hatte. Niemand auf den Inseln fluchte jemals. Dort existierten keine Flüche.
    Das Leben mochte hart sein, aber das musste man nicht noch mit Worten unterstreichen.
    Er erinnerte sich, dass die Freikirche wichtig war für die Menschen auf der Insel, und umso wichtiger, je näher sie am offenen Meer wohnten. Vrängö lag am weitesten draußen. Und Donsö. Vor Allen Dingen auf Donsö, hatte sie gesagt und ein Lachen gelacht, das geblitzt hatte wie die Wellenkämme rund um die südlichen Klippen von Styrsö, wo sie saßen und zur gottesfürchtigen Insel auf der anderen Seite des Sundes hinüberschauten.
    Dann hatte sie sich auf ihn gesetzt und angefangen, sich zu bewegen, langsam erst und dann immer schneller. Die Kirche mochte ihr Leben gelenkt haben, aber sie war auch nur ein Mensch, sündig wie er.
    Im Auto auf dem Weg nach Hause: Springsteen. You better look around you, that equipment you got's so outdated, you can't complete with Murder Incorporated, everywhere you look now, Murder Incorporated.
    Nein, so pessimistisch bin ich ja nun doch nicht. Noch nicht. Und ich setze meinen Kampf fort. Den Kampf gegen die Mord AG.
    Das Handy, das auf dem Armaturenbrett lag, schrillte.
    »Ja?«
    Wieder Möllerström, immer Möllerström.
    »Sie hat wieder angerufen. Du hast dich wohl doch nicht bei ihr gemeldet.«
    »Ich hab die ganze Zeit nichts anderes getan!«
    »Okay.«
    »Bist du im Büro?«, fragte Winter. »Wo sonst?«, sagte Möllerström.
    »Kann man sie unter der Nummer erreichen, die du mir gegeben hast?«
    »Ja.«
    »Danke, Janne. Und jetzt mach mal Wochenende.«
    Möllerström legte auf, ohne noch etwas zu sagen. Winter wählte wieder die Nummer, eine Nummer, die er meinte nie wieder zu vergessen. Sie meldete sich nach dem ersten Klingeln.

13
    Er kehrte mit zitternden Händen zurück. Er betete.
    Draußen fuhr ein Kind auf einem Fahrrad vorbei. Er ging zum Fenster. Vom Meer her wehte ein Wind. Der Wind zerrte an den schwarzen Haaren des Kindes.

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