Segeln im Sonnenwind
und war gleich davon überzeugt gewesen, daß es sich nur um eine Angehörige des Personals handeln konnte – Sekretärin, Empfangsdame, was auch immer. Er hatte sich verspätet, war in Eile und ging einfach davon aus, daß eine »untergeordnete Angestellte« selbstverständlich nichts Besseres zu tun hatte, als seinen Mantel aufzuhängen, damit er gleich den Konferenztisch aufsuchen konnte.
Und die Moral von der Geschichte? Auf Zeitlinie zwei galt 1970 der Rechtsgrundsatz, daß jemand so lange als unschuldig galt, bis man ihn einer Schuld überführen konnte. Die Kultur der Zeitlinie zwei ging 1970 noch immer davon aus, daß eine Frau so lange untergeordnet war, bis sie das Gegenteil bewiesen hatte – trotz aller Gesetze, die versicherten, daß die Geschlechter gleichgestellt waren.
Ich hätte diesem Grundsatz nur zu gerne in die Visage getreten.
Mit dem 5. August 1952 begann mein Leben als Alleinstehende, weil ich an jenem Tag beschloß, daß man meine Rechte und Privilegien gefälligst zu respektieren hatte wie bei einem Mann – oder ich würde einen Mordskrach schlagen. Ich hatte keine Familie mehr und konnte keine Kinder mehr bekommen. Ich war nicht auf der Suche nach einem Ehemann, ich war finanziell unabhängig (und das ist noch milde ausgedrückt!) und fest entschlossen, nie mehr für irgendeinen Mann »die Wäsche hinauszugeben«, nur weil ich die Sitztoilette aufsuchte und nicht im Stehen pinkelte.
Ich hatte allerdings nicht vor, besonders aggressiv zu werden. Wann immer ein Gentleman die Tür für mich offenhielt, akzeptierte ich seine Höflichkeit und dankte ihm. Gentlemen erweisen Frauen gerne kleine Artigkeiten, und Damen freuen sich darüber und zeigen sich mit einem Lächeln und einem Wort des Dankes erkenntlich.
Ich erwähne das deshalb, weil man in den Siebzigern viele Frauen antraf, die einen Mann erbarmungslos brüskierten, wenn er sich ihnen gegenüber artig zeigte, zum Beispiel durch das Zurechtrücken eines Stuhles oder durch das Ansinnen, ihnen beim Ein- oder Aussteigen zu helfen. Diese Frauen (eine Minderheit, aber ebenso all-gegenwärtig wie unausstehlich) betrachteten traditionelle Höflichkeit als eine Beleidigung. Ich gab ihnen mit der Zeit den Namen »Lesbische Mafia«. Ich weiß nicht, ob sie alle homosexuell waren (bei manchen allerdings bin ich mir ganz sicher), scherte sie jedoch aufgrund ihres Verhaltens alle über einen Kamm.
Falls einige von ihnen nicht lesbisch waren, wo fanden sie dann heterosexuelle Geschlechtspartner? Welcher Schlappschwanz war bereit, solche Grobheiten von Frauen hinzunehmen? Andererseits bedaure ich feststellen zu müssen, daß es 1970 bereits reichlich Schlappschwänze jeder Art gab. Sie befanden sich auf dem Vormarsch. Mannhafte Männer, galante Gentlemen, solche, die gar nicht erst auf eine Einberufung zum Militär warteten, wurden selten.
Das Hauptproblem vor dem Verkauf des Hauses bestand in der Überlegung, was ich aufbewahren, was ich weggeben und was ich mitnehmen sollte. Die Möbel und der Kleinkram wie Töpfe, Pfannen und Bettlaken gingen größtenteils an die Wohlfahrt. Wir hatten dreiundzwanzig Jahre lang, von 1929 bis 1952, hier gewohnt. Die meisten Möbel waren schon ziemlich alt und von vielen Kindern reichlich strapaziert worden. Bei meinem wackeren alten Piano zögerte ich jedoch. Es war ein guter alter Freund. Briney hatte es mir 1909 geschenkt, und schon damals stammte es aus zweiter (oder gar dritter?) Hand. Es hatte damals den Beweis dafür geliefert, daß Brian Smith & Co. endlich schwarze Zahlen schrieben. Brian erwarb es auf einer Auktion für vierzehn Dollar.
Nein! Wenn meine Pläne überhaupt gelingen sollten, mußte ich mit leichtem Gepäck reisen. Klaviere kann man überall mieten.
Danach fielen mir die übrigen Entscheidungen leichter. Die Bücher bildeten den Anfang. Ich schleppte sie alle ins Wohn-, nein, doch lieber ins Eßzimmer und häufte sie auf den Tisch. Und zwar hoch. Den Rest dann auf den Boden. Wer hätte gedacht, daß so viele Bücher in einem Haus Platz fanden?
Anschließend schob ich den großen Allzweckwagen dazu und packte die Titel darauf, die ins Lager sollten. Die Bücher, die ich mitnehmen wollte, kamen auf den kleinen Teewagen. Dann der Teil, den die Wohlfahrt bekommen sollte, auf die Kartentische. Oder sollte ich das Zeug nicht doch lieber der Heilsarmee geben? Na ja, wer am schnellsten kam und sich alles abholte, der sollte es auch bekommen.
Eine Stunde später mußte ich mich richtig
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