Segeln im Sonnenwind
ihn fest. »Nein, nein, Pix! Du mußt erst sehen, wohin sie mich bringen.«
Ich hatte die Worte nur an Pixel gerichtet und auch nur geflüstert, aber mein Begleiter antwortete: »Machen Sie sich keine Sorgen, Milady Long; Sie befinden sich in Gesellschaft von Freunden.«
Der Fahrstuhl hielt in einem tieferen (?) Stockwerk; wir stiegen aus und setzten uns in eine winzige Röhrenkapsel. Wir schossen dahin – fünfzig Yards, fünfhundert, fünftausend, wer weiß? Die Kapsel beschleunigte, bremste ab und hielt an. Wir stiegen aus. Mit einem weiteren Aufzug fuhren wir diesmal nach oben und erreichten wenig später einen luxuriösen Salon, in dem sich etwa ein Dutzend Leute aufhielten und ständig weitere dazukamen. Dr. Frankenstein bot mir einen bequemen Sessel in einem großen Ring solcher Sitzgelegenheiten an, von denen die meisten schon besetzt waren.
Diesmal ließ sich Pixel nicht aufhalten. Er entwand sich meinem Griff, sprang zu Boden und erforschte mit erhobenem Schwanz den Raum und die Menschen und steckte seine kleine rosa Schnauze in alles und jedes.
Zu unserem Kreis gehörte auch ein unmäßig fetter Mann in einem Rollstuhl. Eines seiner Beine war unterhalb des Knies amputiert, das andere noch weiter oben. Er trug eine dunkle Brille. Ich hielt ihn für einen Diabetiker und fragte mich, was Galahad in seinem Fall unternommen hätte. Der Dicke eröffnete die Sitzung.
»Ladies und Gentlemen, sollten wir nicht anfangen? Wir können eine neue Schwester begrüßen.« Er deutete auf mich wie ein Platzanweiser im Kino. »Lady MacBeth. Sie ist…«
»Einen Moment mal«, unterbrach ich ihn. »Ich bin nicht Lady MacBeth, sondern Maureen Johnson Long.«
Das Gesicht mit der dunklen Brille drehte sich bedächtig wie der Geschützturm eines Schlachtschiffes in meine Richtung. »Das ist höchst unpassend. Dr. Frankenstein?«
»Tut mir leid, Herr Vorsitzender. Der dumme Zwischenfall mit den Proktoren hat den Zeitplan durcheinandergebracht. Wir konnten ihr noch nichts erklären.«
Der Dicke seufzte zischend. »Unglaublich! Madam, wir müssen Sie um Verzeihung bitten. Gestatten Sie mir, Ihnen unseren Kreis vorzustellen. Wir sind die Toten. Alle von uns erfreuen sich einer tödlichen Krankheit. Ich sagte ›erfreuen‹, weil wir – hi, hi, hi! – eine Möglichkeit gefunden haben, jeden uns noch verbliebenen goldenen Augenblick zu genießen, ja, diese Momente sogar auszudehnen, da glückliche Menschen im allgemeinen länger leben. Jedes Mitglied des Komitees für Ästhetische Streichungen – zu Ihren Diensten, Madam! – widmet seine verbleibenden Tage der Aufgabe, so viele Schurken wie möglich auf den Weg vorauszuschicken, der ihm vorgezeichnet ist, Schurken, durch deren Eliminierung das Erbgut der menschlichen Rasse nur verbessert wird. Sie, Madam, wurden nicht nur deshalb in absentia in unseren erlauchten Kreis gewählt, weil Sie selbst schon ein wandelnder Leichnam sind, sondern auch in Anerkennung der kunstvollen Verbrechen, die Ihnen zum Erwerb dieses Status' verholfen haben.
Gestatten Sie mir, Ihnen nach dieser Zusammenfassung unsere noblen Gefährten vorzustellen:
Dr. Fu Manchu.« (Ein stämmiger Ire oder Schotte. Er verneigte sich, ohne aufzustehen.)
»Lucrezia Borgia.« (Whistlers Mutter, komplett mit Schiffchenarbeit auf dem Schoß. Sie lächelte mich an und sagte in einem süßen Sopran: »Willkommen, liebes Mädchen!«)
»Lucrezia ist unsere beste Vernichterin. Trotz inoperablen Leberkrebs hat sie bereits mehr als vierzig Attentate erfolgreich ausgeführt. Gewöhnlich…«
»Hör auf damit, Hassan«, sagte sie sanft, »ehe du mich in Versuchung führst, dich auf den rechten Weg zu führen.«
»Ich wünschte, du würdest es tun, meine Liebe. Ich bin diesen Kadaver langsam satt. Neben Lucrezia sitzt Blaubart…«
»Hallöchen, Kleine! Was haben Sie nachher vor?«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Madam; er ist entwaffnet worden. Als nächstes haben wir dort Attila den Hunnen…« (Ein perfekter Caspar Milquetoast in kurzer Hose und Unterhemd. Er saß reglos da, abgesehen von seinem wie bei einem Kinderspielzeug gleichmäßig nickenden Kopf.) »… und nach ihm Lizzie Borden.« (Sie war eine junge und schöne Frau in einem provokanten Abendkleid. Sie sah ganz gesund aus und lächelte mich glücklich an.) »Lizzie wird von einem künstlichen Herzen am Leben erhalten, aber der Treibstoff dafür bringt sie langsam um. Früher war sie Schwester im Orden Santa Carolitas, aber sie fiel bei der Kathedrale in
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