Segeln im Sonnenwind
es mich fast erschreckte. Ich stellte fest, daß Theodore und ich einander ähnelten wie Bruder und Schwester, und genau das war es auch, was Vater damals an ihm aufgefallen war. Das Erschreckende an der Sache war aber, daß er genau wie mein Sohn Woodrow aussah – mein schlimmer Junge, mein Liebling.
»Ja, er ist ja auch dein Sohn.«
»Nein, nein, ich meine jenen Captain Lazarus Long, den ich als Theodore kennenlernte und der ein Abbild meines Sohnes Woodrow Wilson Smith ist! Es ist mir vorher noch gar nicht aufgefallen! Natürlich, in der kurzen Zeit, die ich damals in seiner Gesellschaft verbrachte, war Woodrow ja erst fünf Jahre alt. Also ist er zum Ebenbild seines fernen Nachfahren herangewachsen. Seltsam! Irgendwie berührt mich das.«
Ishtar sah Tamara an. Sie wechselten einige Worte in einer mir unbekannten Sprache (Galacta, wie ich später erfuhr). Ich entnahm jedoch ihrem Tonfall, daß sie besorgt waren.
»Mama Maureen«, sagte Ishtar ernst, »Lazarus Long ist dein Sohn Woodrow Wilson.«
»Nein, nein«, entgegnete ich, »ich habe Woodrow erst vor ein paar Monaten gesehen! Er sah aus wie Captain Long auf diesem Bild – eine erstaunliche Ähnlichkeit. Aber Woodrow lebt im zwanzigsten Jahrhundert; das weiß ich doch!«
»Ja, das tut er, Mama Maureen. Oder tat es, obwohl Elizabeth mir erklärt hat, daß die beiden Zeiten äquivalent sind. Woodrow Wilson Smith wuchs im zwanzigsten Jahrhundert auf, verbrachte den größten Teil des einundzwanzigsten auf dem Mars und der Venus, kehrte im zweiundzwanzigsten auf die Erde zurück und…« Ishtar brach ab und musterte mich. »Teena?«
»Wer hat meine Lampe gerieben? Was kann ich für dich tun, Ish?«
»Bitte Justin um eine englische Hardcopy der Memoiren, die er für den Senior erstellt hat, ja?«
»Nicht nötig, Justin zu fragen; ich habe sie bereits. Möchtest du sie gebunden oder als Rolle?«
»Gebunden, denke ich. Aber Teena, es wäre doch besser, wenn Justin sie persönlich herbringt. Es wäre eine Freude und eine Ehre für ihn.«
»Für wen nicht? Mama Maureen, wirst du auch gut behandelt? Wenn nicht, sag mir Bescheid, weil ich hier die ganze Arbeit erledige.«
Nach einer Weile kam ein Mann herein, der mich unbehaglich an Arthur Simmons erinnerte, aber es handelte sich nur um eine allgemeine Ähnlichkeit aufgrund einer ähnlichen Persönlichkeit; im Jahre 1982 wäre Justin Foote bestimmt auch Buchprüfer gewesen, genau wie Arthur. Er trug einen Aktenkoffer. Als Ishtar ihn mir vorstellte, kam er mir doch ganz schön unbeholfen vor. Vor lauter Aufregung darüber, mich zu sehen, stolperte er fast über die eigenen Füße.
Ich drückte ihm die Hand. »Meine erste Ururenkelin, Nancy Jane Hardy, heiratete einen Jungen namens Charlie Foote – so um 1972, glaube ich. Ich war Hochzeitsgast. Bist du mit Charlie Foote verwandt?«
»Er ist mein Vorfahr, Mama Maureen. Nancy Jane Hardy Foote brachte Justin Foote den Ersten am Silvesterabend 2000 gregorianischer Zeitrechnung zur Welt, also am Vorabend eines neuen Jahrtausends.«
»Tatsächlich? Dann hat Nancy Jane sich ja ganz schön Zeit gelassen. Sie wurde übrigens nach meiner Erstgeborenen benannt, ihrer Urgroßmutter.«
»So steht es auch in den Archiven. Deine Erstgeborene muß Nancy Irene Smith Weatheral gewesen sein; ich erhielt meinen Vornamen im Andenken an deren Schwiegervater Justin Weatheral.« Er sprach ein ausgezeichnetes Englisch mit einem seltsamen Akzent. Boston?
»Dann bin ich sozusagen deine Großmutter. Gib mir einen Kuß, Enkelsohn, und sei nicht so nervös und förmlich. Wir gehören alle zur Familie.«
Er entspannte sich und küßte mich fest auf den Mund, und es gefiel mir. Vielleicht wäre ich sogar an einer Beziehung interessiert gewesen – er erinnerte mich an Arthur.
»Ich stamme auch noch auf anderem Weg von dir ab«, sagte er. »Nämlich über Patrick Henry Smith, den du am 7. Juli 1932 zur Welt gebracht hast.«
Ich erschrak richtig. »Liebe Güte! Meine Sünden folgen mir sogar bis hierher! Ach, natürlich – du hast es aus den Unterlagen der Stiftung erfahren. Ich habe das uneheliche Kind dort gemeldet; in der Beziehung mußte man ehrlich sein.«
Ishtar und Tamara schienen verwirrt. »Entschuldige, Mama Maureen«, sagte Justin und wandte sich in einer anderen Sprache an die beiden. Dann erläuterte er mir: »Den Begriff ›uneheliche Kinder‹ kennen wir hier nicht. Nachwuchs ist entweder genetisch zufriedenstellend oder nicht.«
Tamara hatte auf Justins Erklärung
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