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Segeln im Sonnenwind

Segeln im Sonnenwind

Titel: Segeln im Sonnenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert A. Heinlein
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weiter. Worum es dabei ging, weiß ich nicht mehr; bei Predigten versuchte ich mir stets den Anschein der Aufmerksamkeit zu geben, aber ich hörte nur selten wirklich zu.
    Weiter unten an der Ford Street brüllte jemand irgend etwas; er übertönte sogar die laute Stimme Bruder Timber-lys. Das Geschrei kam näher.
    Wenig später kehrte Vater in die Kirche zurück. Statt jedoch wieder seine Bank aufzusuchen, marschierte er direkt zur Kanzel und reichte unserem Pastor eine Zeitungsseite.
    Ich sollte an dieser Stelle einfügen, daß der Lyle County Leader aus vier Seiten auf einem einzelnen Blatt bestand. Gedruckt wurde er auf der Platte eines Materndienstes. Man muß sich das Ganze so vorstellen, daß eine Seite des Blattes mit internationalen, nationalen und Staatsnachrichten bedruckt und der Bogen dann zu kleinen Landzeitungen weitergeschickt wurde, die die Innenseiten mit lokalen Nachrichten und Werbeanzeigen füllten. Der Lyle County Leader erwarb die Maternplatte vom Kansas City Star, wobei jedoch schon das Impressum des Leader benutzt wurde.
    Das Blatt, das Vater Bruder Timberly gab, war von dieser Art und wies auf den Innenseiten dasselbe lokale Zeug auf wie in der Wochenausgabe des Leader von Donnerstag, dem 21. April 1898, nur daß diesmal die obere Hälfte der zweiten Seite mit großen Lettern neu gesetzt worden war:
    SPANIEN ERKLÄRT UNS DEN KRIEG!!!
    Per Kabel vom New York Journal, Madrid, 24. April – Unser Botschafter wurde heute ins Büro des Premierministers einbestellt und erhielt seinen Paß sowie eine kurze Note des Inhalts ausgehändigt, daß die ›Verbre-chen‹ der Vereinigten Staaten gegen Seine Allerkatho-lischste Majestät die Regierung seiner Majestät zur Anerkennung der Tatsache zwingen würden, daß sich das Königreich Spanien im Krieg befindet…
    Reverend Timberly las diesen Artikel laut von der Kanzel aus vor, legte dann die Zeitung weg, musterte uns ernst, holte sein Taschentuch hervor und wischte sich damit die Stirn ab, ehe er sich die Nase schneuzte. Mit rauher Stimme sagte er: »Lasset uns beten.«
    Vater erhob sich, und der Rest der Gemeinde folgte sei-nem Beispiel. Bruder Timberly bat unseren Herrgott Jeho-vah, uns in den Zeiten der Gefahr sicher zu leiten. Er bat um göttliche Führung für Präsident McKinley. Er bat um die Hilfe des Herrn für all unsere tapferen Männer zu Lande und zur See, die nun für den Erhalt dieses heiligen, gottgegebenen Landes kämpfen mußten. Er bat um Gnade für die Seelen derer, die im Kampfe fallen würden, sowie um den Trost der Witwen und Waisen und der Väter und Mütter unserer jungen Helden. Er bat darum, daß die Gerechtigkeit ein rasches Ende des Krieges herbeiführen möge. Er bat um Hilfe für unsere Freunde und Nachbarn und für das unglückliche Volk Kubas, das schon so lange unter der eisernen Knute des Königs von Spanien hatte schmachten müssen. Und so fuhr er fort, alles in allem etwa zwanzig Minuten lang.
    Vater hatte mich schon lange von jedem Glauben an das Apostolische Bekenntnis kuriert. Vielmehr argwöhnte ich stark, angeregt durch Professor Huxley und gefördert von Vater, daß eine Person namens Jesus von Nazareth nie gelebt hatte.
    Was Bruder Timberly anbetraf, so hielt ich ihn für geräuschvolle einsachtzig, die Ritzen voller heiligem Öl. Wie viele Prediger im amerikanischen Bibelgürtel war er ein Farmerjunge, dem es (wie ich stark vermutete) vor echter Arbeit grauste.
    Ich habe nie an einen Gott da oben im Himmel geglaubt, der etwas auf Bruder Timberlys Worte gibt.
    Und doch mußte ich feststellen, daß ich zu jedem seiner Worte »Amen!« sagte und mir dabei die Tränen über die Wangen liefen.
    An dieser Stelle muß ich meine improvisierte Rednertribüne aufbauen.
    Im zwanzigsten Jahrhundert gregorianischer Zeitrechnung wurde in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Sache bei den »Intellektuellen« populär, die man als »revisionistische Geschichtsschreibung« bezeichnete. Diese scheint von der Voraussetzung ausgegangen zu sein, daß die jeweils aktuell präsenten, lebenden Akteure der Geschichte niemals begriffen, was sie taten oder warum sie es taten oder wie sie manipuliert wurden, da es sich bei ihnen lediglich um Marionetten in den Händen unsichtbarer böser Kräfte handelte.
    Das stimmt vielleicht. Ich weiß es nicht.
    Aber warum sind das Volk der Vereinigten Staaten und seine Regierung für die Revisionisten stets die Schurken? Warum können nicht auch mal unsere Feinde – wie der König von Spanien

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