Segeln im Sonnenwind
Kirche), muß ich eine herbe Enttäuschung gewesen sein – und das während all der
Jahre vor dem Krieg, der später »Erster Weltkrieg« genannt wurde oder auch »Krieg des Zusammenbruchs, Erste Phase«. Im Verlaufe dieses Jahrzehntes versuchte ich nicht nur die perfekte, konservative Dame und Hausfrau des Bibelgürtels zu imitieren, nein, ich war sie tatsächlich, geschlechtslos, bescheiden, kirchlich orientiert. Ausnahmen gab es nur, wenn ich hinter abgeschlossener Tür im Bett lag, sei es allein oder mit meinem Gatten oder zu ganz seltenen und sicheren Gelegenheiten mit jemand anderem, mit dem Briney einverstanden war und bei dem er manchmal sogar den Anstandswauwau spielte.
Abgesehen davon könnte nur ein Roboter noch mehr Stunden im Jahr Geschlechtsverkehr treiben. Selbst der so unermüdliche Galahad verbringt den größten Teil seiner Zeit mit Arbeit – als Leiter von Ishtars bestem Chirurgenteam. (Galahad – der erinnert mich nun wirklich an Nelson. Nicht nur vom Aussehen her; die beiden sind auch Zwillinge in Temperament und Einstellung – sogar im Duft des Körpers, wenn ich mich recht entsinne. Sobald ich wieder zu Hause bin, muß ich Ishtar und Justin fragen, wieviel Galahad von Nelson abbekommen hat. Da wir Howards mit einem begrenzten Genpool anfingen, führt die Konvergenz unter Mithilfe von Wahrscheinlichkeit und Zufall bei irgendwelchen Nachfahren auf Tertius oder Secundus häufig etwas herbei, was man fast schon als physische Wiedergeburt eines entfernten Vorfahren betrachten kann.)
Was mich darauf bringt, was ich mit einem Teil meiner Freizeit anstellte und wie Random Numbers zu seinem Namen kam.
Ich glaube nicht, daß es in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auch nur einen Monat gab, in dem Briney und ich nicht irgendein Fach studierten – und normalerweise zusätzlich noch irgendeine weitere Sprache, was aber kaum zählt. Wir mußten schließlich unseren Kindern immer etwas voraus sein. Wir widmeten uns meist nicht demselben Stoff – so kümmerte sich Briney zum Beispiel nicht um Steno oder Ballett und ich mich nicht um Ölförderung oder die Kontrolle der Verdampfung bei Bewässerungsprojekten. Mein Grund dafür, fortwährend zu lernen, bestand in dem scheußlichen Gefühl eines intellektuellen Coitus interruptus, da es mir nicht möglich gewesen war, das College zu besuchen und wenigstens einen Bakkalaureus zu machen. Brian studierte so fleißig, weil er – na ja, weil er eben ein Mann der Rennaissance war und alle Wissensgebiete als sein Metier betrachtete. Den Archiven zufolge wurde mein erster Ehemann 119 Jahre alt. Man kann todsicher davon ausgehen, daß er in den letzten Wochen seines Lebens wieder etwas lernte, was ihm völlig neu war.
Manchmal studierten wir gemeinsam. Briney fing 1906 mit Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung an. Wie es sich ergab, betrieb er das per Post an der ICS-Schule. Und da wir somit alle Bücher und Lektionen im Haus hatten, arbeitete auch Maureen sie alle durch, schickte allerdings keine Arbeiten ein. Wir beide vergruben uns also gerade in die hochgradig faszinierende Materie der Mathematik, als unser erstes Kätzchen, Random Numbers (Zufallszahlen), in unser Leben trat – dank Mr. Renwick, Verkaufsfahrer bei der Great Atlantic and Pacific Tea Company.
Das Kätzchen war ein bezauberndes Knäuel silbergrauen Flaums und hieß aufgrund eines Irrtums, was sein Geschlecht anging, zunächst Fluffy Ruffles. Sie war allerdings ein Er, und er demonstrierte solch blitzartige Veränderungen in Stimmung, Richtung, Geschwindigkeit und Aktion, daß Brian bemerkte: »Dieses Kätzchen hat kein Gehirn, sondern lediglich einen Schädel voller Zufallszahlen. Immer, wenn es gegen einen Stuhl oder die Wand stößt, werden die Zufallszahlen durcheinandergeschüttelt, woraus sich diese Veränderungen ergeben.«
Und so wurde aus »Fluffy Ruffles« »Random Numbers«, auch kurz »Random« oder »Randie« genannt.
Sobald im Frühjahr 1907 der Schnee getaut war, legten wir in unserem Hinterhof einen Krocketplatz an. Zunächst spielten nur wir vier Erwachsenen (im Laufe der Jahre betrieb scheinbar jeder diesen Sport), dann vier Erwachsene und Random Numbers. Jedesmal, wenn der Ball geschlagen wurde, zog unsere Katze das Schwert und GRIFF AN! Sie holte den Ball ein, stürzte sich darauf und packte ihn mit allen vieren. Der geneigte Leser sollte sich dabei möglichst einen erwachsenen Mann vorstellen, der ein rollendes Oxhoftfaß* stoppt, indem er sich
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