Segeln im Sonnenwind
abnahm, fing es an zu regnen. Wenn man es aufsetzte, kam die Sonne heraus.
Es war ein Ein-Mann-Dach, kinderleicht zu handhaben, ganz wie es die Werbung versprach. Dieser Mann war Bri-ney – unterstützt von seiner Frau, zwei halbwüchsigen Mädchen und zwei kleinen Jungen. Wir alle strengten uns an und schwitzten, und Brian war so anständig, die Worte hinunterzuschlucken, die ihm auf der Zunge lagen. Schließlich fand er heraus, wie er das vermaledeite Dach austricksen konnte. Es mußte einfach ständig geschlossen bleiben, womit gleichzeitig gutes Wetter für unsere Ausflüge gewährleistet war.
Wir hatten wirklich Spaß an dem Wagen. Nancy und Carol gaben ihm die Bezeichnung »El Reo Grande.« (Brian und ich hatten vor kurzem mit Spanisch angefangen; wie üblich bemühten sich die Kinder darum, noch schlauer zu sein als wir. Pig Latin funktionierte überhaupt nie; sie knackten den Code sofort. Alfalfa hielt nicht viel länger durch.) Schon früh in unserer Ehe hatten wir festgelegt, daß bestimmte Anlässe für die ganze Familie waren, andere nur für Mama und Papa. Bei den letzteren blieben die Kinder zu Hause und jammerten auch nicht, damit nicht das »mittlere Recht« zur Geltung kam. (Mutter hatte eine Pfirsichbaumrute benutzt; ich fand heraus, daß eine vom Aprikosenbaum genausogut funktionierte.)
1912 war Nancy zu einer verantwortungsbewußten Zwölfjährigen herangewachsen, so daß wir die Kleinen für ein paar Stunden in ihrer Obhut zurücklassen konnten. (Das war vor der Geburt Woodrows. Sobald er Laufen gelernt hatte, konnte man ihn nur noch mit einem schweren Stiefel und einem Morgenstern unter Kontrolle halten.) Das ermöglichte Briney und mir einige wunderbare Ausflüge zu zweit. Einer davon trug mir Woodrow ein, wie ich bereits erwähnte. Briney genoß es, im Freien Liebe zu machen, und ich ebenso. Das, was sonst zwar eine süße, aber auch sehr bürgerliche Angelegenheit war, wurde dabei um die Würze der Gefahr bereichert.
Wenn die ganze Familie einen Ausflug unternahm, quetschten wir Nancy und Carol, Brian junior und George auf die hinteren Sitze, wobei Nancy darauf zu achten hatte, daß niemand sich auf die Rückbank stellte (nicht, um den Lederbezug zu schonen, sondern aus Schönheitsgründen). Ich setzte mich mit Marie vorne hin, und Brian fuhr.
Der Picknickkorb und die Limokanne hatten auch hinten ihren Platz, und es lag an Carol zu verhindern, daß ihre Brüder darüber herfielen. Wir fuhren in der Regel zum Swope Park hinaus, hielten dort das Picknick ab, betrachteten uns die Zootiere und machten anschließend eine Vergnügungsfahrt bis nach Raytown oder sogar Hickman Mills. Auf dem Heimweg schliefen die Kinder meist schon, und zu Hause gab es ein Abendessen aus Picknickresten und heißer Suppe.
1912 war ein gutes Jahr – trotz eines Blizzards, der als »schlimmster seit '86« tituliert wurde (was vielleicht stimmte; ich selbst kann mich an den 86er Blizzard nicht mehr sehr klar erinnern). Es war auch ein Wahljahr – ein lautstarker Wettkampf von drei Parteien. Mr. Taft betrieb seine Wiederwahl, Teddy Roosevelt trat gegen ihn, seinen früheren Protege, mit seiner eigenen »Bull-Moose«-Wahl-liste der Progressiven Republikaner an, und Professor Wilson von Princeton, inzwischen Gouverneur seines Staates, kandidierte für die Demokraten.
Zumindest das war ein überraschender Ausgang für einen unglaublichen Konvent, der einen Monat lang dauerte und bei dem es tagelang den Anschein hatte, daß Missouris Liebling, Mr. Champ Clark, der Sprecher des Repräsentantenhauses, nominiert werden würde. Mr. Clark führte siebenundzwanzig Wahlgänge lang und errang teilweise klare Mehrheiten, wenn auch nicht die bei den Demokraten erforderlichen zwei Drittel. Dann traf Mr. William Jennings Bryan eine Übereinkunft mit Dr. Wilson, um Außenminister zu werden, und Gouverneur Wilson wurde im sechsundvierzigsten Wahlgang nominiert, als viele Delegierte bereits wieder zu Hause waren.
Ich folgte all dem mit großem Interesse im Star, da ich Dr. Wilsons monumentales, achtzehn Bände (!) umfassendes Werk Eine Geschichte des Amerikanischen Volkes gelesen hatte, das ich mir Band für Band aus der öffentlichen Bibliothek von Kansas City ausgeliehen hatte. Meinem Gatten verschwieg ich dieses Interesse jedoch, da er meiner Vermutung nach Colonel Roosevelt favorisierte.
Die Wahl fand am Fünften statt, aber wir erfuhren das Ergebnis nicht gleich – es waren, glaube ich, drei Tage. Woodrow kam am Montag,
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