Seherin von Kell
und wenn doch irgend etwas schiefgehen sollte, können sie immer noch mir dafür die Schuld geben, nicht wahr?«
»Du bist nicht wie andere Männer, mein Freund«, sagte Zakath sehr ernst.
»Nein.« Garion seufzte. »Wahrscheinlich nicht. Ich möchte es aber gern sein. Die Welt lastet schwer auf dir und mir, Zakath, und sie läßt uns keine Zeit für uns selbst. Möchtest du nicht auch einfach einmal an einem schönen Sommermorgen in den Sonnenaufgang reiten und sehen, was hinter dem nächsten Berg liegt?«
»Ich dachte, genau das haben wir die ganze Zeit getan.«
»Nicht wie ich es meine. Wir tun es, weil wir müssen, nicht zu unserem eigenen Vergnügen.«
»Ich habe seit Jahre nichts mehr zum Vergnügen getan.«
»Hat es dir keinen Spaß gemacht, König Gethel von den Thulls zu drohen, du würdest ihn kreuzigen lassen? Ce'Nedra hat es mir er-zählt.«
Zakath lachte. »Das war nicht so übel«, gestand er. »Ich hätte die Drohung natürlich nicht wahr gemacht. Gethel war ein Schwach-kopf, aber zu dem Zeitpunkt nicht entbehrlich.«
»Es ist doch immer das gleiche, findest du nicht? Du und ich tun, was notwendig ist, nicht, was wir gern tun möchten. Weder du noch ich wollten diese hohe Würde, aber wir werden tun, was nötig ist und was von uns erwartet wird. Denn wenn wir es nicht tun, wird diese Welt sterben und gute ehrliche Menschen mit ihr. Das lasse ich nicht zu, wenn ich etwas dagegen unternehmen kann. Ich werde diese guten ehrlichen Menschen nicht im Stich lassen, und du ebensowenig. Du bist selbst ein zu guter Mensch.«
»Gut? Ich?«
»Du unterschätzt dich, Zakath, und ich glaube, daß sehr bald jemand kommen und dich lehren wird, dich nicht mehr selbst zu hassen.«
Zakath zuckte sichtlich zusammen.
»Du hast nicht gedacht, daß ich es weiß«, bohrte Garion unerbittlich weiter. »Doch das ist jetzt bald vorüber. Dein Leid und dein Schmerz sind schon fast überstanden, und wenn du irgendwelche Anweisungen benötigst, wie man glücklich sein kann, dann komm ruhig zu mir. Wozu sind Freunde schließlich da?«
Hinter Zakaths geschlossenem Visier war ein fast abgewürgtes Schluchzen zu hören.
Die Wölfin war zwischen ihren Pferden gelaufen. Nun blickte sie zu Garion hinauf. »Sehr gut gemacht«, lobte sie. »Vielleicht habe ich dich unterschätzt, junger Wolf. Vielleicht bist du gar kein Welpe mehr.«
»Man kann nur versuchen, sein Bestes zu tun«, erwiderte Garion in der Sprache der Wölfe. »Ich hoffe, ich habe mich nicht als zu gro-
ße Enttäuschung erwiesen.«
»Ich glaube, aus dir kann noch etwas werden, Garion.«
Und das bestätigte etwas, was Garion bereits eine geraume Weile vermutete. »Danke, Großmutter.« Nun war er endlich sicher, mit wem er es hier zu tun hatte.
»Und du hast so lange gebraucht, es zu sagen?«
»Du hättest es für unhöflich halten können.«
»Ich glaube, du warst zu lange mit meiner ältesten Tochter zusammen. Es ist mir aufgefallen, daß sie Schicklichkeit überbewertet.
Ich nehme an, daß du deine Entdeckung für dich behältst?«
»Wenn du es möchtest.«
»Es wäre vielleicht weiser.« Sie blickte zum Burgtor. »Was ist das hier?«
»Die Burg eines Königs.«
»Was sind Könige für Wölfe?«
»Es ist Sitte unter den Menschenwesen, daß sie ihnen Respekt zol-len, Großmutter. Dieser Respekt gilt jedoch mehr der Sitte denn dem Menschenwesen, das die Krone trägt.«
»Wie seltsam«, bemerkte sie naserümpfend.
Mit viel Kettengeklirr krachte die Zugbrücke hinunter, und Baron Asteilig führte sie mit seinen Rittern in den Burghof.
Genau wie in Vo Mimbre war der Thronsaal hier in Dal Perivor ein großes Gewölbe mit skulptierten Stützpfeilern, die entlang der Wände emporstrebten. Hohe, schmale Fenster ließen schillerndes Licht durch ihre bunten Glasscheiben fallen. Der Boden war aus poliertem Marmor, und auf dem mit einem roten Teppich bedeckten Steinpodest stand der Thron von Perivor vor schweren Purpurvor-hängen. Zu beiden Seiten der behangenen Wand waren die schweren alten Waffen aus der zweitausendjährigen Herrschaft des Kö-
nigshauses angebracht: Lanzen, Streitkolben und gewaltige, über-mannsgroße Schwerter hingen zwischen den zerfetzten Bannern vergessener Könige.
Seltsam berührt von diesen Ähnlichkeiten, erwartete Garion schon fast, daß Mandorallen mit dem rotbärtigen Barak und dem pferde-mähnigen Hettar über den Marmorboden auf sie zugestapft käme.
Aufs neue hatte er dieses seltsame Gefühl der Wiederholung. Verblüfft
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