Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Liebe! Nicht mit mir! Auch wenn ich einen Fehler gemacht habe, gibt es dir nicht das Recht, mich so zu behandeln«, rief Jola. Sie rannte Catheline hinterher, packte die Schwester an der Schulter und zwang sie, stehen zu bleiben.
»Geh weg, ich will dich nicht sehen.« Cathelines Atem ging in schweren Stößen.
»Es ist mir gleich, ob du mich sehen willst. Es ist wichtig, was ich dir zu sagen habe.«
»Ach, kannst du plötzlich unterscheiden, was wichtig undunwichtig für mich ist? Bis vor Kurzem warst du dazu nicht in der Lage.«
»Ich haue dir gleich eine runter, wenn du jetzt nicht zuhörst. Ania ist verschwunden.«
»Ja, und? Was interessiert mich das Miststück?«
»Der Baron will zwei seiner Berittenen schicken, um dich zum Schloss bringen zu lassen. Er will dich verhören.«
»Mich? Warum?« Catheline wurde einen Ton blasser und schien zu ahnen, dass ihre Frage überflüssig war. »Ich bitte dich«, setzte sie nach. »In den letzten Monaten sind schreckliche Dinge geschehen, und der Baron hat kaum etwas unternommen, um die Taten aufzuklären. Und jetzt gibt es einen Streit zwischen zwei Frauen, und er will mich verhören?«
»Es geht nicht darum, was er bisher unternommen hat, verstehst du? Sondern darum, dass er es jetzt tut, warum auch immer.«
»Woher willst du das wissen?«
»Vom Knappen. Er kommt immer zu uns in die Küche, denn sein Hunger ist größer als seine Angst, vom Küchenmeister erwischt zu werden. Herrgott noch mal!«, fuhr Jola auf und ruderte hilflos mit den Armen in der Luft herum. »Verstehst du es denn nicht? Du bist in Gefahr. Verschwinde für eine Weile. Weil du Ania würgen musstest, könntest du das passende Bauernopfer für den Baron sein. Dir kann er die Schuld anlasten, wie willst du dich dagegen wehren?«
Cathelines Blick flackerte unruhig hin und her. »Ich habe sie nicht gewürgt, ich habe sie nur geschüttelt«, sagte sie trotzig. »Und dir kann ich nur raten, gut auf dich aufzupassen. Denn der Baron ist …« Sie brach ab und schaute zögerlich zu den offen stehenden Fenstern der Pfarrei.
»Es geht doch nicht um mich. Ich weiß, dass du mir noch zürnst, aber ich bitte dich, unterschätze die Situation nicht.«
Catheline trat nun doch einen Schritt näher, sah noch einmal zu den Fenstern hinüber und beugte ihren Kopf vor. »Es ist wirklich wichtig«, flüsterte sie.
Erleichterung machte sich in Jola breit, weil es das erste Mal in diesem Gespräch so schien, als würde die Schwester den begangenen Fehler verzeihen können. Mühevoll konzentrierte sie sich auf das, was Catheline zu sagen versuchte.
»Du musst auf dich aufpassen, denn der Baron …«, fuhr Catheline fort, und ihr Blick war ernst, nahezu angstvoll.
Daran, dass Catheline ebenfalls zusammenzuckte, erkannte Jola, dass sie gleichzeitig die Reiter nahen hörten. Ohne zu zögern, duckte sich Jola und huschte hinter einen Brennholzstapel.
Catheline stand im Garten, neben den Beeten, den Eimer noch immer fest vor ihren Bauch gepresst. Als wäre sie mit dem erdigen Boden verwachsen, lauschte sie reglos in die Richtung, aus der die Reiter zu vernehmen waren.
Frühsommer, 1440
Schloss Troyenne
D as Feuer war erloschen, nur ein Rest Glut war in der Asche noch auszumachen. Die Lampen waren nicht entzündet, sodass der Saal heute kalt, nahezu abweisend wirkte. Die Begrüßung des Barons war knapp ausgefallen. Sein Gesicht wirkte eingefallen, und die Kleidung hing an seinem Leib, als wäre sie ihm in den letzten Tagen zu groß geworden. Mathis bemerkte, dass die Baronin heute nicht zugegen war, und aus einem ihm nicht erklärbaren Grund beunruhigte ihn diese Tatsache.
Worauf warten wir?, fragte er sich. Was will der Baron? Erst lässt er nach mir schicken, und nun stehen wir in diesem zugigen Saal herum, den die Sonne durch das feste Gemäuer hindurch nicht zu wärmen vermag, und warten auf den Sankt Nimmerleinstag.
Er hörte Cathelines Stimme, bevor er sie sah, und war schockiert, sie beim Baron anzutreffen. Der Hauptmann schubste sie in den Saal hinein, sodass sie ins Stolpern geriet. Ihr Gesicht war verschwitzt und hochrot, die Schuhe waren erdverkrustet, der Kittel verschmutzt. Ihr alter, geliebter Strohhut, den sie unter dem Kinn mit einer Kordel verknotet hatte, war in den Nacken gerutscht. Zudem schleppte sie einen Eimer mit sich herum, an dessen Henkel sie sich festkrallte. Unglücklicher, erkannte Mathis, konnte ein Erscheinen vor dem Baron nicht beginnen.
Als Catheline Mathis’ Anwesenheit
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