Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
machte Amédé de Troyenne Platz. Für einen Moment musterte der Baron die anwesenden Männer,erst dann betrachtete er, ohne näher zu treten, die Magd, die auf dem behelfsmäßigen Tisch inmitten der Kapelle lag.
Catheline hat recht gehabt, wir hätten den Tisch verbrennen sollen. Vielleicht wäre dann wie durch ein Wunder diese Schicksalsreihe abgerissen, ging es Mathis durch den Kopf. Aber Wunder geschehen stets anderswo, fügte er dem unsinnigen Gedanken resigniert hinzu und folgte dem Blick des Barons.
Der Tod hatte Ania die Schönheit genommen. Ihre Haut war bleich, fast bläulich. Auch wenn ihr schon irgendwer die Augen geschlossen hatte, wirkten die Gesichtszüge verzerrt. Die Finger waren gekrümmt, als wolle sie noch immer ihren Angreifer abwehren. Alles an ihr gab beredtes Zeugnis der Angst, die sie in den letzten Augenblicken ihres Lebens gefühlt haben musste. Mathis’ Erinnerungen, wie sie gesprochen, gelächelt und ihn berührt hatte, waren erloschen. Begraben unter diesem Anblick.
»Wer hat sie gefunden?«, fragte der Hauptmann und trat vor.
»Pierre und Marcel, die Kinder des Tagelöhners Gabin, haben sie beim Spielen auf der Wiese hinter der Pfarrei gefunden«, antwortete Pfarrer Jeunet ruhig. »Ihre Arme und der Rock waren säuberlich ausgebreitet, fast als wäre sie für jeden, der den Weg ins Dorf nimmt, sichtbar drapiert worden.«
»Wir werden sie mitnehmen«, sagte der Hauptmann.
Mathis schob seine freie Hand unter den Umhang und ballte die Faust. Dieser Mann erweckte seine Wut, sobald er auftauchte.
»Natürlich könnt Ihr sie mitnehmen, sicherlich wollt Ihr sie aufbahren, um dem Gesinde am Schloss das Abschiednehmen zu erleichtern.«
»Das geht Euch nichts an«, knurrte der Hauptmann.
»Es ist etwas anders«, murmelte Pfarrer Jeunet plötzlich, legte den Kopf schräg und zog die Augenbrauen zusammen. »Irgendetwas ist anders als sonst, vielleicht wisst Ihr, was ich meine, Hauptmann, Ihr kennt sie besser.«
»Hier ist nichts anders«, entgegnete nun der Baron, der bisher schweigend im Türrahmen verharrt hatte.
Yann, der ebenfalls nicht näher an den Tisch treten wollte, schüttelte den Kopf. »Ich sehe das auch so. Sie ist erwürgt worden. Da, am Hals, man sieht die Spuren. Und auch wenn wir jetzt nicht prüfen können, ob Unzucht mit ihr getrieben wurde, sieht es für mich so aus wie bei den anderen …«
»Hier prüft niemand irgendetwas, dieses Mal lassen wir einen Fachmann hinzuziehen«, fuhr der Hauptmann dazwischen.
»Nein, das ist es nicht, ich meine nicht die Art, wie diese Frau vom Leben in den Tod gestoßen wurde. Aber ich weiß bisher nicht, was es ist. Es ist mehr ein Gefühl«, sagte der Pfarrer und begann, an seiner Lippe herumzuzupfen.
»Wo ist eigentlich Eure Haushälterin?«, fragte der Baron beiläufig, und auf Mathis’ Armen sträubten sich die Haare.
»Sie ist zum Fluss, Wäsche waschen«, antwortete Pfarrer Jeunet, während er sich noch dichter über Anias Gesicht beugte. Langsam fuhren seine Finger über ihr Haar und hielten dann inne.
Der Hauptmann drängte ihn beiseite. »Nicht anfassen«, sagte er und schob sich zwischen den Pfarrer und die tote Magd.
»Das ist es, jetzt weiß ich, was anders ist«, rief Pfarrer Jeunet, und der Triumph trieb seine Stimme in bisher ungekannte Höhen.
Der Baron winkte zur Tür hinaus, und Mathis konnte erkennen, dass ein Wagen vorfuhr. Zwei Knechte stiegen ab und betraten die Kapelle. Sie breiteten ein Tuch über Ania undtrugen sie zum Wagen. Schnell und ungerührt, als würden sie ein Möbelstück mit sich nehmen. Wenigstens die Pferde wieherten unruhig, als die Leiche an ihnen vorbeigetragen wurde, bemerkte Mathis grimmig. Was der Mensch nicht schafft, das ist dem Tier gegeben.
»Sie hat honigfarbenes Haar«, sagte Pfarrer Jeunet und schlug mit der rechten Faust in seine linke Hand.
»Die Haarfarbe, die spielt doch keine Rolle!«, widersprach der Baron entschieden.
»Doch, doch, sicher tut es das.« Auf dem Gesicht des Pfarrers erschienen große rote Flecken, die sich mit scharfen Konturen von der weißgrauen Haut abhoben. »Sie war sehr weiblich und lieblich. Alles an ihr war hell und weich. Die anderen waren eher ein herberer Menschenschlag, besaßen dunkleres Haar, schmalere Gesichter und …« Sein Blick flackerte, als hätte ihn ein Fieber erfasst, dann wandte er sich an Mathis. »Welche Augenfarbe hatte sie?«
Er weiß es, durchfuhr es Mathis, und die Scham ließ ihn von einem Atemzug zum nächsten ins
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