Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
einem Pfarrer zu vergreifen?« Julien hatte darauf geachtet, sachlich zu klingen, so als wäre Amédé de Troyennes Prozess einer von vielen.
»Was habt ihr noch gegen ihn vorliegen?«
»Wenn du vor Gericht wiederholst, was du mir gesagt hast – dass dein Mann Alchemie und Teufelsbeschwörungen betreibt –, dann haben wir schon eine Reihe Anklagepunkte.«
»Was ist, wenn ich nicht aussage?«
Julien zuckte die schmerzenden Schultern und bemühte sich, seine aufsteigende Unruhe zu verbergen. »Wir suchen nach Pater Bertrand, der im Gewühl der Verhaftung entkommen ist. Wir werden ihn finden, und dann wird er bestätigen, was wir schon wissen.«
Eine Locke ihres rötlichen Haares um den Finger gedreht, begann Bérénice, vor ihm auf und ab zu laufen. »Ich habe dir vom Laboratorium erzählt. Ich habe den Stein ins Rollen gebracht. Dabei betreibt doch heute fast jeder im Geheimen Alchemie.«
»Aber keine Teufelsbeschwörungen. Und um dir reinen Wein einzuschenken: Die Morde werden ihm ebenfalls zur Last gelegt.«
Sie blieb stehen und sah ihn angstvoll an. »Die Morde?«
»Es gibt eine Zeugenaussage, dass eine Spange an seinem Mantel ausgetauscht wurde. Eines der Opfer hielt so eine in der Hand, anscheinend ist sie im Kampf abgerissen worden.«
Heftig schüttelte Bérénice den Kopf. »Ich war dabei, als uns einer der Bauern aus Saint Mourelles von der Spange erzählte. Amédé hat keine Spange verloren. Sage mir, was ist, wenn mein Mann nicht der Mörder ist, für den ihr ihn haltet?«
»Seine Behauptung, er habe die Spange nicht verloren, war eine Lüge«, sagte Julien. Er trat einen Schritt vor und nahm ihre Hand. »Bérénice, die Beweislast ist erdrückend, und es gibt noch andere Hinweise. Aber wir brauchen deine Hilfe, um die Wahrheit herauszufinden. Es geht um deinen Schutz und um den der Menschen in der Umgebung. Sie haben großen Schmerz erlitten und verdienen es, dass wir nach Antworten suchen. Es hat schon viel zu lange gedauert, bis etwas unternommen wurde. Dazu habe ich, das muss ich zu meiner Schande gestehen, auch meinen Teil beigetragen. Umso wichtiger ist es mir nun, endlich Antworten zu finden. Und um ehrlich zu sein: Ich befürchte wirklich, dass alles darauf hinausläuft, dass dein Mann der Täter oder zumindest einer der Täter ist.«
»Du meinst also«, flüsterte Bérénice, »dass die Frage vielmehr lauten muss: Was ist, wenn er der Täter ist, für den ihr ihn haltet?«
Julien nickte und strich über ihre Finger. Kurz sah sie zur Tür, trat dann noch einen Schritt näher. »Ich habe Angst«, sagte sie noch leiser.
Ich auch, antwortete er ihr in Gedanken.
Langsam ließ sie den Kopf auf seine Schulter sinken. »Julien, lass mich heute nicht allein, ja? Bleib bitte bei mir.«
Es war gut, dass Bérénice nicht sehen konnte, wie ihm dieGesichtszüge entglitten. Es war gut, dass sie nicht hören konnte, wie er sich fragte, ob er sich am Morgen im Schritt gewaschen und wann er frische Beinlinge angelegt hatte. Es war gut, dass sie das Brennen, das in seine Lenden schoss, nicht spüren konnte. »Gern«, flüsterte er und klang heiser dabei.
Schloss Tour Neuve in Nantes, oberer Saal
E in Pater hatte sie beide vor Prozessbeginn durch einen Seiteneingang in den Saal gebracht und ihnen zwei Stühle zugewiesen, die in einer Ecke standen, verdeckt hinter einer wuchtigen Säule. Der Blick des Mannes hatte keinen Zweifel gelassen: Die Tatsache, dass die Frau des Angeklagten und deren Schwester darauf bestanden hatten, an dem Inquisitionsprozess teilzunehmen, hatte ihn befremdet. Es hat eben seine Vorteile, wenn man mit dem Generalexaminator der Zeugen schläft, hätte Bérénice dem Pater zu gern hämisch zugeflüstert. Doch sie hatte den Blick demütig auf den Boden gerichtet, auf dem ihr zugewiesenen Stuhl Platz genommen und die Hände im Schoß gefaltet.
Für einen Moment waren ihre Gedanken abgeschweift. Zu Julien. Seinem Leib, der glatt und fest war und den weißen Ton frischer Milch hatte. Diesen Leib hatte Bérénice sich stets vorgestellt, wenn sie es sich erlaubt hatte, an Julien zu denken. Weiter zu denken, als es sich gehörte.
Für einen Notar, dessen Tage mit der Arbeit am Pult gefüllt waren, wirkte er erstaunlich kraftvoll. Julien, das war weder zu viel Kraft noch zu wenig, weder zu viel Schönheit noch zu wenig. Auch jetzt bemerkte Bérénice dieses Gleichmaß, als er den Saal betrat und mehrere Folianten auf den Tisch wuchtete,um sie dann mit dem Ellenbogen
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