Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
verwiesen hatten.
Die Angst in seinen Augen war unübersehbar, und Julien spürte einen Anflug von Mitleid. Müde rieb er sich über die Stirn. Wie viel Wahrheit vertrugen diese Menschen? Würden sie es ertragen, heimzureisen in dem Wissen, dass der Baron heute seine Strategie gewechselt hatte? Dass er in schlichter Kleidung vor dem Gericht erschienen war und sich als guter Christ dargestellt hatte, der die Sakramente der Taufe und Kommunion empfangen hatte? Der nachdrücklich beteuert hatte, im Gegensatz zu dem verschwundenen Pater Bertrand sich niemals dem Teufel und seinen Versuchungen hingegeben zu haben? Würde ihnen der Pfarrer nicht all das ohnehin erzählen? »Ja, die Haushälterin wurde heute vorgeführt.«
Als Antwort erklang das Aufschluchzen einer der Frauen. Ein eindringlicher Diskant der Angst.
Der Bauer mit dem Treibstecken trat näher. »Wie geht es ihr?«
Vor Juliens Augen erschien das Bild der leichenblassen Frau, die, von Kopf bis Fuß verdreckt, in den Saal geführt wurde. Noch einmal fühlte er ihren gehetzten Blick auf sich. »Es geht ihr gut.«
Die Erinnerung an die in jeder Hinsicht katastrophale Aussage schob er beiseite. Gelallt hatte die Frau, als wäre sie betrunken. Wankend hatte sie vor dem Gericht gestanden, hatte mehrfach um Wasser gebettelt und kaum auf die Fragen des Bischofs geantwortet. Doch das Schlimmste war das Verhalten des Barons gewesen, der, sobald die Frau sich an einer Antwort versuchte, dazwischenfuhr. Und niemand hatte ihm Einhalt geboten, bis die wenigen Worte der Frau, die sie von sich gab, sich ineinander verwirrten.
»Was hat sie ausgesagt?«, fragte nun der Bauer, der, das wusste Julien sehr wohl, Mathis Maury hieß. Doch die Zeugen mit ihren Namen anzureden nahm ihnen die Anonymität, die es ihm als Generalexaminator der Zeugen erlaubte, sich die Angst anderer vom Leib zu halten.
»Wenig.« Mehr gab es dazu nicht zu sagen, befand Julien. Immer mehr kam er zu der Überzeugung, dass es nicht seine Aufgabe war, die erbärmlichen Details zu schildern.
»Sie wird auf dem Scheiterhaufen landen, und der Baron wird freikommen«, schrie nun Jola Cogul auf. »Nicht nur sie wird sterben, auch wir werden es, wenn er zurückkommt.«
»Jola, beruhige dich. Bitte, beruhige dich, es ist schwer genug für uns alle. Geht bitte alle, reist nach Hause zu euren Lieben. Es liegt in Gottes Hand, was nun geschieht«, sagte der Pfarrer. Sein Rücken schien heute noch stärker gebeugt zu sein.
»Was ist mit Euch, Pfarrer Jeunet?«, fragte nun Mathis Maury und legte die Hand auf die Schulter des Alten.
»Ich bleibe hier. Sie ist meine Haushälterin, vielleicht kann ich ihr noch irgendwie zur Seite stehen.«
»Auch ich werde bleiben, auch ich will in Cathelines Nähe sein. Niemand erwartet mich, und wir können Euch nicht allein in dieser nahezu unüberschaubaren Stadt zurücklassen.«
Dankbar nickte der Alte, dann senkte er das Haupt und ging mit zitterigen Schritten aus dem Saal hinaus.
»Ich beantrage den Ausschluss vom kirchlichen Verfahren«, sagte Amédé ruhig. »Mit der Aussage von Catheline Cogul ist nun der Beweis geführt, dass ich mit den Morden nichts zu tun habe. Auch der Teufelsbeschwörung habe ich mich nicht schuldig gemacht. Hierfür müssen die ehrenwerten Herren denflüchtigen Pater Bertrand belangen, der sicherlich, da stimme ich dem Gericht zu, ein Betrüger ist.«
Bérénice hörte, wie Francine tief durchatmete, und neidete ihr das Gefühl der Erleichterung. Für sie selbst war der Vormittag ein nicht endendes Entsetzen gewesen. Schon allein Amédés Versuch, sich über seine Kleidung beim Gericht anzubiedern, hatte sie angewidert. Unerträglich war er ihr geworden, als man das arme Mädchen in den Gerichtssaal geschleift hatte. Die Anwesenheit dieses verstörten Häufleins Elend hatte Amédé regelrecht beflügelt. Mit geschickten Fragen hatte er ihr zugesetzt, bis sie verstummt und abgeführt worden war.
»Ich nehme an, mit den anderen Vorwürfen habt Ihr ebenfalls nichts zu schaffen?«, fragte nun Bischof du Clergue, und seine Stimme klang süffisant.
»Doch, ich habe, und ich bitte um die Vergebung des Gerichts, mich des Angriffs auf Pater Jeunet und der Verletzung der kirchlichen Immunität schuldig gemacht. Zudem habe ich mich mit Alchemie befasst, jedoch fernab jeder Teufelsbeschwörung. Für diese Taten werde ich die volle Verantwortung übernehmen, wie auch für die unbotmäßigen Übergriffe meiner Garde auf die Bewohner des Dorfes Saint
Weitere Kostenlose Bücher