Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Versprechen, die bis nach Paris gemacht worden waren. Darum, dass ein Weib als Bauernopfer auf dem Scheiterhaufen, sogar noch zur Hexe ausgerufen, den Plan, sorgfältig entworfen, in sich zusammenstürzen lassen würde. Auch wenn Pater Blouyn von alledem nichts wissen konnte, schien er es förmlich zu wittern.
Julien lief ein Schauer den Rücken hinab. Was war, wenn er sich von der Geldgier des Bischofs hatte blenden lassen, wenn sein Gefühl ihn trog? Was war, wenn der Baron kein Mörder war? Wenn er dem Scheiterhaufen zurecht entging? Die Anklage scheiterte? Wenn Amédé auf das Schloss zurückkehrte und Bérénice wiedersah? Was würde er selbst machen, wenn sein Ruf als Magister ruiniert wäre und er irgendwann des Nächtens in einer der dunklen Gassen Nantes’ den Häschern des Barons gegenüberstehen würde? Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Nein, so ist es nicht, rief er sich zur Ordnung. Ich habe die Zeugenaussagen vernommen, zu vieles spricht gegen seine Unschuld, und dass der Bischof aus dem Untergang des Barons noch Gewinn zieht, das soll nicht mein Fehler sein.
»Es geht nicht um dieses Weib, es geht darum, dass es Regeln gibt bei einem Inquisitionsprozess, und an die haben wir uns zu halten. Hier und da eine kleinere Abweichung, eine flexibleAuslegung der Vorschriften, dagegen sage ich nichts. Aber gegen einen Bruch der Verfügungen unserer Heiligen Inquisition, dagegen verwehre ich mich«, erwiderte der Bischof derweil.
Pater Blouyn schob sich erneut eine Kirsche in den Mund, drückte sie in die rechte Wangentasche, die sich nach außen wölbte. Genüsslich spitzte er die Lippen und spuckte den Kern auf den Boden vor die Füße des Bischofs. »Beschwert Euch doch«, grinste er. »Ihr wisst ja, an wen Ihr Euch wenden müsst. Es steht Euch frei, Euch beim Erzbischof zu beschweren, ich werde Euch nicht daran hindern, denn ich gehe davon aus, dass er ein, zwei andere Dinge um die Ohren hat als einen Ketzerprozess in Nantes. Zudem würde der Erzbischof mir zustimmen, dass eine Zeugenfolter durchaus zulässig ist. Insofern kann ich nur sagen: Solange ich vom Erzbischof keine gegenteilige Anweisung erhalte, wird der Prozess so weitergeführt, wie ich das für richtig halte.«
Was machte sie hier?
Sie gehörte nicht hierher. Das musste ein Irrtum sein. Hier wurden Verbrecher festgehalten, Ketzer vielleicht, aber kein Weib mit einem losen Mundwerk.
Es roch nach Pisse. Nach Erbrochenem. Nach Schweiß und feuchtem Gemäuer. Catheline hatte es aufgegeben, an der vergitterten Tür zu rütteln, sich dagegenzuwerfen, darauf einzutreten. Breite, kalte Streben, an denen sie sich die Fingerknöchel wund geschlagen hatte. Immerhin hatte man ihr inzwischen Wasser gebracht. Mit jedem Schluck hatte sich ihr Zustand gebessert, waren die Worte und Gedanken wieder an ihren Platz zurückgekehrt, nur die Erinnerung an ihre Aussage vor Gericht blieb diffus.
Der Verschlag, so nannte Catheline den Raum, weil sich alles in ihr weigerte, das Wort Kerker auch nur zu denken, war ohne Fenster. Im Gang rechter Hand neben der Tür hing ein Kienspan an der Wand. Die Flamme zuckte und schwankte schwächer werdend vor sich hin, und wenn sie erlosch, würde nichts als Dunkelheit bleiben. Fluchtgefahr, hatte der Inquisitor gemurmelt und darauf bestanden, dass sie in diesem Verschlag nun den weiteren Verlauf des Prozesses abwarten sollte.
Erneut lief sie von Wand zu Wand, nicht mehr als viereinhalb Schritte, bis sie zur Umkehr gezwungen wurde. Doch die Bewegung war das Einzige, was ihre Unruhe ein wenig milderte. Sie schaute nach dem Ring, der am Boden eingelassen war. Immerhin, man hatte darauf verzichtet, sie anzuketten, ihr die Möglichkeit gegeben, nicht auf dem schimmeligen Strohlager, über das Käfer flitzten, hocken zu müssen.
Anfangs hatte sie um Hilfe gerufen, versucht, die Wache herbeizulocken, doch damit hatte sie nur die Männer, die ebenfalls in den Tiefen des herzöglichen Schlosses festgehalten wurden, darauf aufmerksam gemacht, dass eine Frau in der Nähe war. Erschrocken war sie verstummt ob der mehrkehligen Geilheit, die als Antwort erklungen war.
Stimmen und Schritte im Gang ließen sie zusammenzucken. Sie presste sich mit dem Rücken an die Wand und spähte durch die Türstreben.
Der Magister. Hier, in der Unterwelt.
Sie stürzte zum Gitter, presste sich dagegen, streckte den Arm hindurch und hielt dem Notar, ohne zu wissen, warum sie es machte, die offene Hand entgegen. »Kommt Ihr mich holen? Darf ich
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