Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
fragwürdige Weise. Und Ihr wisst, dass es nicht darum geht, dass dieses Stück Land so lieblich ist: Vielmehr können hier Schiffszölle erhoben werden. Und dass der Herzog einen fairen Preis zahlt, wäre eine Neuigkeit. Oder ist er über Nacht zum rechtschaffenen Mann geworden? Dieses Stück Land werden diese raffgierigen Säcke nie von mir erhalten. Habt Ihr verstanden? Das könnt Ihr auch so weitergeben.«
Mit diesen Worten hatte er Julien zurückgelassen.
Es war nicht mehr und nicht weniger als der unerfreulich unsouveräne Abgang eines Mannes, der einst einer der großen, edlen Ritter Frankreichs gewesen war und es nicht verstanden hatte, zur rechten Zeit die Seiten zu wechseln, dachte Julien. Ganz anders seine Frau. Selbst der Bischof ist überzeugt, dass sie es insgeheim mit den Engländern hält. Immer noch.
Ziegen wurden an ihnen vorbeigeführt. Gackernd rannte ein Hahn über den Schlosshof, dicht gefolgt von einer Magd mit sonnengelbem Haar, die ihn einzufangen versuchte. Ein Pater eilte vorbei.
Alltag. Gewöhnliches und gewohntes Treiben.
Nur für ihn, das wusste Julien, war es ein Tag, von dem er wieder lange zehren würde.
»Magister, verübelt es uns nicht, aber wir werden erwartet«, leitete die Schwester den erahnten Abschied ein.
Bérénice nickte. »Haltet uns auf dem Laufenden, Magister.So wie es aussieht, werden wir Euch ja demnächst öfter zu Gesicht bekommen«, fügte sie ungerührt hinzu. Dann setzte sie ihren Weg fort. Anmutig wie zuvor.
Saint Mourelles
C atheline seufzte. Am Morgen war sie beim Anfeuern mit dem Zündeisen vom Feuerstein abgerutscht und hatte sich auf den Daumen geschlagen. Erst beim vierten Versuch war es ihr gelungen, Funken springen zu lassen, die sich im Zunder verfangen und zu glimmen begonnen hatten. Eilig hatte sie Reisig und Holzscheite im Kamin gestapelt und das Feuer entfacht, damit die Pfarrei durchgewärmt war, bevor Vater Jeunet sich in seiner Schlafkammer erhob und den Tag begann.
Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, war sie ohne ihren Umhang über den Pfarrhof geeilt, hinüber zum Schuppen, in dem sie Brennholz lagerten, und nun, beim Stapeln der Scheite im Korb, stellte sie fest, dass sie fror und ihr Daumen bei jeder Bewegung schmerzte. Sie schüttelte den Kopf, seufzte erneut, schulterte den Korb und schloss die Tür.
Die Kinder, es waren Pierre und Marcel, spielten bereits. Sie liefen den Weg entlang, warfen ausgelassen den Schnee in die Höhe und sahen zu, wie er im Fallen zerstäubte. Catheline lächelte. Die Sonne schien, und Eiszapfen hingen glänzend vom Dach der Pfarrei. Das Blau des Himmels erinnerte an Glockenblumen, die sie im Sommer während der Spaziergänge mit Ysa gepflückt hatte, während sie über Männer geredet und gelacht hatten. Es war ein Himmelsblau, das die Sehnsucht nach dem Sommer in ihr weckte und die Hoffnung schürte, alles würde sich wieder so fügen, wie es einst gewesen war.
Ein Jaulen unterbrach ihre Tagträumerei jäh. Sie stand bereits auf der Schwelle der Pfarrei, als sie nochmals den jammernden Laut hörte. Ein Klageton, der ihr durch und durch ging. Sie stellte den Korb ab und blickte über die Steinmauer des Pfarrhofs hinweg. Pierre und Marcel warfen Schneebälle. Catheline beugte sich weiter vor. Die beiden Jungen warfen ihre Schneebälle Avel hinterher. Ein Spiel, das er schätzte und in das er sonst begeistert einfiel. Einer der Schneebälle schlug gegen einen Baum, ein zweiter landete im Garten der Pfarrei. Der Schnee stob auseinander, und ein Stein fiel heraus.
Sie werfen Schneebälle mit Steinen nach Avel, durchfuhr es Catheline. Im Vorbeilaufen griff sie nach dem Reisigbesen, der neben der Tür stand, und schon jagte sie den Weg hinauf.
»Seid ihr wahnsinnig?«, brüllte sie den Jungen entgegen und schwang den Reisigbesen. »Wenn ich einen von euch erwische, dann gnade euch Gott! Avel mit Steinen zu bewerfen!«
Der Weg gabelte sich – Pierre und Marcel bogen nach rechts ab, sicherlich wollten sie zu Hause Schutz suchen. Avel rannte nach links in Richtung Wald, das schneebedeckte Schindeldach seiner Hütte lugte bereits durch die winterkahlen Baumwipfel. Catheline beschloss, Avel zu folgen, weil Blanche morgens meist unterwegs war, um nach Ysa zu sehen, Grete getrocknete Kräuter zu liefern oder einen der Körbe, die sie hin und wieder flocht, am Schloss zu verkaufen.
Das Laufen hatte Catheline ins Schwitzen gebracht und kurzatmig gemacht. Sie schnaufte, als sie Avel erreichte.
»Haben sie
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