Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
sich abrupt zur Feuerstelle um. Er hielt das Eisen in die Flammen und forderte seine Tochter Cécile grob auf, schneller mit dem Blasebalg zu pumpen. Die Kleine hatte die Lederschürze des Bruders umgebunden und verschwand fast darin. Nach Kräften mühte sich das Kind und zerrte unbeholfen an dem Griff des Balgs herum. Kurz loderten die Flammen auf, und Catheline spürte, dass ihr Magen einen Satz machte. Cécile sollte im Haushalt aushelfen, kochen lernen, Reisig sammeln oder die Zwillinge versorgen, statt im Lederschurz Männerarbeit zu verrichten. Armer Yann. Nicht genug damit, dass Raymond verschwunden ist und deine Frau Marie den Verstand darüber zu verlieren droht, dir fehlen zudem zwei helfende Hände, zwei junge, starke Arme in deiner Schmiede.
Wie viele Tage waren vergangen, seit er von dem Ritt zu den Spielleuten zurückgekehrt war?
Wie viele Tage hatte er es vermieden, nach dem kurzen Aufeinandertreffen Catheline wieder zu begegnen, und dabei nichts als eine sinnlose Leere verspürt? Eine Leere, die er selbst hatte entstehen lassen und die er mit seiner Liebe zu ihr begründete.
Nun stand sie wieder vor ihm. Hatte die Tür zum Stall aufgerissen, dass ihm fast die Heugabel aus den Händen geglitten war. »Da bist du ja!«, hatte sie gerufen.
Mathis war sich sicher: Es musste der Schreck sein, der ihm tief in die Glieder gefahren war und mit einem Schlag die Hitze durch seinen Körper trieb. Trotz der Kälte glühten auch Cathelines Wangen, und was für einen Augenblick gesund und lebensfroh gewirkt hatte, wurde umgehend durch ihren gehetzten Blick ausgelöscht. Ohne zu zögern, trat sie in den Mist und schob sich an den Schafen vorbei.
»Du musst mit mir kommen«, sagte sie, »schnell! Ist Gabin auch hier? Wir können ihn brauchen.«
»Nein, Gabin ist heute zu Hause, und du siehst, dass ich hier nicht wegkann. Viel zu lange sind die Stallungen nicht mehr gesäubert worden. Und heute Nacht ist noch ein Lämmchen geboren worden.« Kurz erwartete er, dass sie wieder davon anfangen würde, dass die Schafe den Winter auch im Freien zubringen könnten. Mehrfach hatte er ihr erklärt, dass er die Lämmer vor der Kälte dieses Winters schützen wollte, und sich dabei geärgert, dass sie ihre Meinung zu Dingen kundtat, die sie nichts angingen.
»Bitte, du musst sofort mitkommen«, riss sie ihn aus seinen Gedanken. Der schrille Ton ihrer Stimme ließ ihn aufmerken, und er spürte, dass sich in seinem Nacken die Haare aufstellten.
»Avel ist vorhin mit Rachel in den Wald gegangen. Die beidenwollten Reisig sammeln, die Vorräte bei Ysa werden knapp, da sie wegen des kleinen Luc beständig feuern muss.«
»Ja, ich habe die beiden gesehen. Sie sind in den Wald gelaufen, und Avel versprach mir, nachher bei den Schafen zu helfen.«
»Sie sind aber nicht mehr zurückgekommen. Nein, falsch. Avel ist zurückgekommen, aber Rachel nicht. Wir, Blanche, Grete, Eve und ich, waren bei Ysa, um zu spinnen, ein wenig Handarbeit zu erledigen. Aber jetzt beginnen die Frauen, einander die Augen auszukratzen.«
Mathis fühlte eine Welle der Müdigkeit über sich zusammenschlagen. Raymond war noch immer verschwunden, nun fehlte Rachel, und anscheinend erwartete jeder im Dorf von ihm, dass er erneut die Zügel in die Hand nahm. Er hatte doch schon bei Raymonds Verschwinden nichts ausrichten können, was erhofften sie sich von ihm? Sah denn niemand, dass er erschöpft war? Kaum in der Lage, sein eigenes auf ein Nichts verkümmertes Leben zusammenzuhalten? Doch er wusste, dass er Catheline nichts entgegenzusetzen hatte, und schon gar nicht, wenn eines der Kinder des Dorfes fehlte. Selbst wenn es sich dabei um einen Zufall handeln musste.
Avel hatte den Kopf in Blanches Schoß vergraben, und an seinen zuckenden Schultern erkannte Mathis, dass der Junge weinte. Ysa stand am Feuer und wiegte den schreienden Säugling. Grete, die einem Wall glich, der Blanche Schutz bot, zwirbelte unablässig Wolle vom Rocken in die Länge und ließ die Spindel springen. Eve hatte die Arme vor der Brust verschränkt und stand breitbeinig neben dem Tisch. Das Gezänk der Frauen war zu einem Schweigen verebbt, das Mathis frösteln ließ, obwohl die Hütte behaglich warm war.
»Was ist hier los?« Auf dem Weg hatte Mathis sich darumbemüht, die passenden Worte zurechtzulegen, und wieder einmal mehr sprangen ihm andere über die Lippen.
»Du hast es sicher erfahren«, antwortete Blanche ruhig. »Rachel ist vom Reisigsammeln nicht zurückgekommen.
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