Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
dich getroffen?«
Sein Blick war dunkel, die Wimpern waren tränennass. Er schüttelte den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken den Rotz von der Nase. »Sie sind böse auf mich, weil der Wind und der Schnee schon alle Spuren verwischt hatten. Weil mirniemand glaubt, dass da ein Reiter war, der Rachel mitgenommen hat.«
Er hat recht. Was soll ich ihm sagen? Dass er in einer Welt lebt, in der sich Wahrheit und Fantasie nicht trennen lassen? Dass wir darum wissen, ihn dafür lieben, dass sich aber Eve und Gabin genau deshalb nun vor ihm fürchten? Dass ihre Kinder diese Furcht aufsaugen und versuchen, sie ihm mit Steinen hinterherzuwerfen?
Bevor sie die rechten Worte gefunden hatte, schrie Avel auf. Auf der Schwelle der Hütte lag eine schwarz-weiße Katze.
Avels Katze.
Jeder im Dorf kannte das anhängliche Tierchen, das nun jedoch steif gefroren war. Die Augen des Tieres starrten mit leerem Blick, die sonst rosige Nase war weiß.
Erneut brach Avel in Tränen aus. »Das ist mein Unglückstag«, schrie er. »Der schlimmste Unglückstag in meinem Leben, bestimmt!«
»Das ist wirklich ein schlimmer Tag für dich. Aber es kann vorkommen, dass ein Tier stirbt, dass Gott es zu sich ruft«, sagte Catheline. Sie erinnerte sich, was man ihrer Schwester Jola und ihr gesagt hatte, nachdem die Eltern gestorben waren. »Avel, hör auf zu weinen, denn alle deine Tränen landen im Totenhemdchen der Katze. Das wird dann schwer und nass, und dann hat das Kätzchen keine rechte Freude im Himmel.«
»Meinst du wirklich?«
»Ja, dem Kätzchen geht es bei Gott gut, er weiß, warum er es zu sich gerufen hat. Vertraue ihm und weine das Totenhemdchen nicht nass, dann machst du der Katze eine Freude.«
Avel zog den Rotz hoch und nickte, sah zu, wie Catheline die Katze aufhob.
»Wenn du magst, setzen wir die Katze im Garten bei, wenn der Boden wieder auftaut. So lange legen wir sie im Gartenab. Vielleicht unter der schönen, großen Eiche, was meinst du?«
»Was ist das da?«, fragte Avel und zeigte auf den Kopf der Katze.
Vorsichtig drehte Catheline das Tier und sah das Blut. Krustiges Blut, das sich aus einem nussgroßen Loch am Hinterkopf bis ins Rückenfell hinabzog. Der Katze war der Kopf eingeschlagen worden.
Schloss Troyenne
W enige Tage nach Antritt seines Dienstes hatte der Küchenmeister im Saal einen Wandschirm aufstellen lassen, um einen Tisch dahinter zu verbergen. »Hier, auf diesem Tisch, richtet ihr die Teller her und stellt das schmutzige Geschirr ab. Hier habt ihr zu warten, während die Herrschaften speisen«, hatte er angewiesen. »Niemand will beim Essen eure Fratzen sehen. Solltet ihr doch an den Tisch treten müssen, haltet den Kopf gesenkt und sprecht nur, wenn das Wort an euch gerichtet wird.« Seufzend hatte er angefügt: »Wenn der Herr Baron doch nur mehr Personal einstellen würde, wäre es für uns alle einfacher.«
Der Knappe war in diesem Moment an ihnen vorbeigelaufen und hatte verwundert den Wandschirm betrachtet.
»Du, komm her«, hatte der Küchenmeister ihn herangewunken. »Die Mägde liefern das Essen bis hierher, und du siehst zu, dass du dem Herrn Baron ab jetzt das Essen zu Tisch bringst. Das ist deine Aufgabe, hast du verstanden?«
Was waren das für Zeiten, als wir einfach das Essen gereicht haben, ohne beständig darüber nachzudenken, ob das, was wirtun, auch recht ist, dachte Jola. Sie nahm mit dem Messer eine dicke Scheibe Fleisch vom Brett mit dem Braten, legte sie auf den Teller und goss Soße darüber.
Der Knappe war trotz der Anweisung des Küchenmeisters so gut wie nie erschienen, um die Herrschaften bei Tisch zu bedienen. Auch heute war er wieder nicht zugegen, und der Küchenmeister würde toben, wenn er davon erfuhr. Aber solange der Baron im Hinblick auf den Knappen weiterhin Nachsicht walten ließ, blieb Jola nicht viel mehr übrig, als den Teller selbst zu Tisch zu bringen.
Als sie hinter dem Wandschirm hervortrat, bemerkte sie, dass die Nörglerin noch immer am Fenster stand. Was gab es dort zu sehen? Wohin sollte sie nun den Teller stellen? Wo gedachte die Baronin Platz zu nehmen? Sofort verschwand Jola wieder hinter dem Wandschirm. Nicht dass irgendwer auf den Gedanken kam, sie würde glotzend herumstehen. Die Schultern zuckend, schaute sie zu Babette hinüber, die dabei war, ihre Schürze zu richten.
»König Karl bleibt dabei, dass seine Heeresreform, die er im November letzten Jahres erlassen hat, weiterhin Gültigkeit besitzt. Er hält daran fest, sein
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