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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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entschuldigen«, brüllte nun Gabin, »solange wir nicht Gewissheit haben, dass Avel nichts mit dem Verschwinden von Raymond und Rachel zu tun hat.«
    Mathis’ Kopf fuhr herum. Erleichtert stellte er fest, dass Blanche die letzten schmähenden Worte des großmäuligen Tagelöhners nicht vernommen hatte.
    Was ist hier los? Was geschieht mit uns?, fragte Mathis sich und ließ seinen Blick auf Cathelines Rücken ruhen, die sich aufgemacht hatte, zur Pfarrei zurückzukehren.

    »Wenn es so weitergeht, wirst du mich füttern müssen, mein Kind«, sagte Pfarrer Jeunet und blickte auf den zitternden Löffel in seiner Hand. »An manchen Tagen gelingt es mir kaum noch, den Becher zum Mund zu führen.«
    Wie er es schafft, selbst seine Gebrechen als Prüfung anzunehmen, als eine Gelegenheit, Gott sein Wohlwollen und seine Liebe zu offenbaren, wird mir immer ein Rätsel bleiben, dachte Catheline und goss einen Schluck Milch in den Becher. Sein Verstand ist klar und messerscharf, sodass er jede Veränderung seines Leibes, jede weitere Unzulänglichkeit genauestens wahrnimmt.
    »Kind, nun schau nicht so besorgt drein. Sieh zu, dass Mathis dich heiratet, dann weiß ich dich gut versorgt, und alles wird seiner Wege gehen …«
    Offensichtlich waren ihr die Gesichtszüge entglitten, denn Vater Jeunets Augenbrauen hoben sich unvermittelt in die Höhe. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er ein kluger Mann war, der in ihrem Gesicht lesen konnte, was sie im Herzen trug.
    »Komm zu mir, mein Kind, komm her.«
    Mit gesenktem Kopf kniete Catheline sich neben seinem Stuhl auf den Boden und ergriff seine Hand, die er ihr entgegenhielt. Wie so oft schmiegte sie ihre Wange gegen die faltige Haut seines Handrückens.
    »Nun sage mir, was geschehen ist. Ich sehe doch, dass dich etwas belastet.«
    »Mathis will, dass ich einen anderen Mann nehme. Er sagt, er ist ein Krüppel, und er kann nicht für mich sorgen.«
    »Sieh an«, sagte der Pfarrer und strich ihr beiläufig eine Strähne aus der Stirn. »Jetzt verstehe ich, warum du so fahrig warst in den vorangegangenen Tagen, und jetzt verstehe ich auch, warum Mathis nicht mehr zu Besuch vorbeischaut.«
    »Vater Jeunet, es ist so viel Streit im Dorf, den er zu schlichten versucht. Verzeiht ihm seine Abwesenheit. Und verzeiht mir, falls ich es bin, die Euch um Eure Abendgesellschaft bringt. Ich kann mich zurückziehen, wenn Mathis kommen soll. Vorher bereite ich Euch ein Mahl und …«
    »Es ist alles gut. Du liebst ihn immer noch, sehe ich das recht?«
    Sie nickte und sah kurz zu ihm auf.
    »Das ist gut.«
    Nein, es ist nicht gut, es schmerzt so, dachte sie und lehnte sich wieder an Vater Jeunets Hand.
    »Denn er ist ein guter Mann, lass ihm Zeit. Und nun erzähle mir bitte, worüber es Streit im Dorf gibt.«
    »Niemand glaubt nach Rachels Verschwinden mehr daran, dass Raymond sich mit den Spielleuten abgesetzt hat oder als Page nach Nantes gegangen ist. Blanche hat mir berichtet, dass die Kinder Avel weiterhin mit Steinen beworfen und durchs Dorf gejagt haben. Er verlässt die Hütte nicht mehr, und noch immer weint er um seine tote Katze. Sein Gemüt hat sich verdunkelt, und ich fürchte, um Blanche steht es nicht viel besser. Sie vergeht vor Sorge um ihrem Sohn. Aber nicht nur sie, alle haben Angst – um sich, um ihre Kinder, vor der Dunkelheit, vor Avel. Einfach vor allem.« Catheline hielt inne, überrascht, dass die Worte nur so aus ihr heraussprudelten, aber es war wohltuend, einmal über die Veränderungen zu sprechen, die sie beobachtete. »Viele flehen wieder die alten Heiligen an«, fuhr siefort. »Vor allem an die Fee Morgana wenden sie sich, die Hüterin der Vergangenheit, die auch die Geheimnisse bewahrt.«
    »Du hast Angst, dass sie nicht mehr auf Gott vertrauen, wenn sie sich an Morgana wenden?«
    Catheline nickte, ohne Vater Jeunets Hand loszulassen.
    »Kennst du die Geschichte vom Heiligen Malo und Morgana?«
    Nun schüttelte sie den Kopf und fühlte abermals ihre Wange dabei über den faltigen Handrücken gleiten.
    »Der Heilige Malo war auf einer Reise, die ihn mit dem Schiff über das Meer führte. Mit einem Mal erhob sich aus den Tiefen des Wassers eine Insel, die zuvor nicht da gewesen war. Die Insel war umgeben von dichten Nebeln, sodass man von der Ferne kaum etwas erkennen konnte. Malo ging dennoch von Bord und betrat die Insel.
    Aus dem Nebel löste sich Morgana, direkt vor ihm stand sie, neben sich ihr Einhorn. Es war leuchtend weiß und wunderschön. Morgana

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