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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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hatte.
    Bei der Waschung des Leibes ihres Sohnes hatte Blanches Gesicht die Farbe des Leichentuches angenommen, mit dem er abgedeckt gewesen war. Ein milchig heller Ton, den ihre Haut bis heute nicht verloren hatte. Mit zusammengepressten Lippen saß sie in ihrer Hütte über Avel gebeugt auf einem Schemel. Wusch zuerst mit einem Tuch die klaffende Wunde auf seiner Stirn, und die anderen Frauen, die ihr helfend zur Hand gehen wollten, schob sie beiseite.
    »Komm, meine Liebe«, sagte Grete und beugte ihren silbergrauen Lockenkopf zu Blanche hinab. »Wir sollten deinen Sohn vielleicht schon vor der Aufbahrung ins Leichentuch einnähen.«
    Blanche fuhr auf. »Warum? Damit niemand seinen zerschmetterten Schädel sieht? Das entstellte Gesicht? Sollen sie doch alle daran erinnert werden, was sie meinem Avel angetan haben.«
    »Bitte, denk an die Kinder, denen sollten wir diesen Anblick nicht zumuten. Sie werden im Schlaf von diesen Bildern heimgesucht werden. Das haben sie nicht verdient.«
    »Das sehe ich anders«, hatte Blanche entgegnet und dann mit blutverschmierten Fingern das verkrustete Haar ihres Sohnes aus der Wunde gezupft, bis diese in ihrer vollen Größe offen gelegen hatte.
    Catheline schauderte erneut bei dieser Erinnerung. Sie packte Blanche härter am Arm, als sie es eigentlich wollte, und zog sie mit sich fort. Wie ein verbocktes Kleinkind führte sie die schmächtige Frau, in der ungeahnte Kräfte erwuchsen, durchs Dorf. Vorbei an der Schmiede, die wieder einmal verwaist lag. Sicher hatte Marie von Yann abermals gefordert, weiter nach Raymond zu suchen. Oft nahmen sie Martin mit, der noch immer nach Rachel Ausschau hielt. Seit Mathis und sie Avel tot aufgefunden hatten, waren Marie und Ysa krank vor Angst, die Nächsten zu sein, die ihr Kind zu Grabe tragen mussten.
    Erneut fing Blanche an, vor sich hin zu fluchen, sodass die Spucke aus der Zahnlücke hervorstob. Mit grimmiger Miene blieb sie stehen und sah den Weg hinunter, der zu Gabins Hütte führte.
    Gott, bitte gib mir die Kraft, dieses gebrochene Mutterherz nach Hause zu bringen, ohne dass ich nochmals aus der Haut fahre, flehte Catheline in Gedanken und krallte sich in BlanchesUmhang. Schob und zerrte, bis sie die am Waldesrand gelegene Hütte erreichten. Schweißnass öffnete Catheline die Tür, setzte Blanche auf einen Schemel und suchte Schlageisen samt Feuerstein, um in der eiskalten Hütte anzufeuern.
    Als sie sich wieder erhob, hatte Blanche sich auf die Bettstatt gelegt, das Schaffell an sich gezogen, roch daran und strich mit den Fingern über die angegraute, fusselige Wolle.
    Catheline schluckte. Nichts hatte in den letzten Tagen etwas an Blanches Schmerz geändert. Weder der Leichenzug zur Kirche, in dem die Frauen und Kinder, Blanche in ihrer Mitte, den Männern vorangegangen waren, noch die Gesellschaft während der dreitägigen Totenwache. Vor dem Altar war Avel, bereits ins Leichentuch eingenäht, aufgebahrt und von Lichtern umstellt worden. Bei manch anderer Totenwache, die Catheline miterlebt hatte, hatten die Trauernden gesungen, geredet und manches Mal sogar miteinander gelacht, so herzlich und laut, dass der Pfarrer sie ermahnt hatte, die Totenruhe zu wahren. Bei Avels Totenwache hatte Stille geherrscht. Drei Tage lang.
    Blanche hatte sich anfangs geweigert, die Kirche zu verlassen. Die Zeit, die ihr auf Erden noch mit ihrem Sohn gegeben war, hatte sie bei ihm zubringen wollen, auch wenn sie dabei mehrfach im Sitzen eingeschlafen war.
    Der Leichenschmaus, der nach der Beisetzung von den Frauen des Dorfes ausgerichtet worden war, hatte ebenfalls keinen Deut Linderung des Verlustes oder Trost verschafft. Dumpf vor sich hin brütend hatte Blanche inmitten der Trauerschar gesessen und kein Wort zu den schleppenden Gesprächen beigetragen.
    Ein Schnarchen erklang. Catheline fühlte ein kleines, eher zaghaftes Lächeln auf ihrem Gesicht. Avel hatte recht gehabt: Seine Mutter schnarchte, und das auch noch beeindruckendlaut. Erschöpft ergriff Catheline den Schemel, zog ihn an die Feuerstelle und stocherte mit dem Schüreisen in den Flammen. Die sich langsam ausbreitende Wärme beruhigte sie.
    »Wach auf. Geh nach Hause. Nun bleibe ich hier«, flüsterte Grete.
    Erschrocken schüttelte Catheline den Kopf und sah sich um. Sie war eingenickt, trotz Blanches Schnarchen.
    »Vater Jeunet sagte mir, wo ich dich finde. Er erzählte mir, dass Blanche wieder auf dem Friedhof herumgestanden und mit sich selbst gesprochen hat. Vergiss deinen

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