Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Catheline, und Jola konnte an ihren Gesichtszügen ablesen, dass die Schwester enttäuscht war über die bisherigen Antworten. »War irgendetwas anders an ihr in letzter Zeit als sonst?«
Dieses Mal schüttelte Jola nur den Kopf, denn sie fürchtete, ein erneutes schlichtes Nein könnte unfreundlich oder gar abweisend wirken.
Cathelines Schultern sanken herab, gedankenverloren zupfte sie an ihrer Lippe.
Jola lächelte. Der Pfarrer war bekannt dafür, dass er, sobald er sich konzentrierte, stets an seiner Lippe herumzupfte. Nun hatte die Schwester diese Angewohnheit übernommen und schien es nicht einmal zu merken. »Kurz vor ihrem Tod hat sie behauptet, dass Pater Bertrand Alchemie betreiben würde, aber das ist nicht wahr.«
»Wer ist Pater Bertrand?«, fragte Catheline, und die Aufmerksamkeit war in ihr Gesicht zurückgekehrt.
»Er ist der Geistliche unserer Schlosskapelle, ein großartiger Mann. Er rührt Heilpasten an, und sicherlich hat der Knappe wieder seine Scherze mit Babette getrieben. Sie war leichtgläubig.«
»Nur weil er Geistlicher ist, heißt das ja nicht, dass er nicht auch verborgene Seiten hat«, entgegnete Catheline und klang streng dabei.
Jola zog die Augenbraue in die Höhe, erwiderte aber nichts. »Babette hat also selten das Schloss verlassen«, fuhr die Schwester fort.
»Babette hat nie das Schloss verlassen«, korrigierte Jola die Feststellung.
Cathelines Finger ließen die Lippe los, und ihr Rücken straffte sich. »Aber warum ist sie dann im Wald aufgefunden worden?«
»Das weiß ich doch nicht«, antwortete Jola harscher als beabsichtigt. Gleichzeitig bemerkte sie, dass sie noch nie darüber nachgedacht hatte. »Sie hat das Schloss nie verlassen, anscheinend nur das eine Mal, und das war ein Mal zu viel.«
Catheline war aufgestanden und lief unruhig auf und ab. »Oder ihr ist hier etwas zugestoßen, und sie wurde vom Schloss weggebracht, weil es hier nur so vor Menschen wimmelt.«
Jola lachte auf. »Du kommst mir vor, als wärest du die Inquisition selbst.«
Die Schwester hielt inne und blieb direkt vor ihr stehen. »Du kannst mich gern verlachen. Aber bitte versprich mir, dass du auf dich aufpasst und mir alles zuträgst, einfach alles, was dir auffällt, jede Änderung oder Neuerung.«
Jola nickte, und gemeinsam mit der Schwester verließ sie den Stall.
Nach wenigen Schritten kam ihnen Pater Bertrand entgegen. »Sieh mal«, flüsterte Jola und stieß Catheline den Ellenbogen in die Seite. »Das ist die beste Neuerung hier: Das ist Pater Bertrand. Der schönste Mann Gottes lebt nun bei uns auf dem Schloss.«
Zufrieden registrierte Jola, dass selbst Catheline beeindruckt schien vom Antlitz dieses Mannsbildes. Nun würde auch für sie sicherlich außer Frage stehen, dass Pater Bertrand Schattenseiten hatte.
Saint Mourelles
V ielleicht hatte Eve ja recht, vielleicht würden sie alle sterben. Warum aber, fragte sich Mathis, hatte Gevatter Ankou nicht ihn zuerst geholt? Warum den Vater zweier Kinder? Und warum wurden die Abstände, in denen Ankou die Sense schwang, immer enger?
Catheline kniete im Schnee, der erneut weich und matschig geworden war, und übergab sich. Immer wieder schüttelte das Würgen ihren Leib. Blanche stand, ihm den Rücken zugewandt, neben Catheline und hielt ihr die Stirn, um den Kopf zu stützen.
Welches Spiel trieb der Teufel mit Catheline, dass es immer wieder sie war, die zuerst auf die Ermordeten traf? Und es stand außer Zweifel, dass auch Gabin ermordet worden war. Seinen Hinterkopf zierte eine klaffende Wunde, aber auch die Würgemale, die sie bei den anderen entdeckt hatten, leuchteten am Hals. Was ging hier vor sich?
Kreidebleich erhob sich Catheline. »Sie werden mich am Baum aufknüpfen, wenn sie erfahren, dass schon wieder ich es war, die …«
»Rede keinen Unsinn, Kind«, sagte Blanche. »Wir waren die ganze Zeit zusammen, wir haben Gabin gemeinsam entdeckt. Und sieh hin, er ist ganz rosig.« Sie beugte sich vor und legte die Hand auf Gabins Wange. »Er ist warm, es ist noch nicht lange her. Du kannst ihn also nicht allein angetroffen haben, du warst vorher bei mir.«
Sie hätten dem Mörder begegnen können, sie hätten es sein können, dachte Mathis und sog die Luft tief ein. Auch wenn er Catheline um ihretwillen nicht heiraten durfte, nahm ihm der Gedanke, sie auf solch grausame Weise verlieren zu können, den Atem. Ein Leben in ihrer Nähe schien ihm schmerzlich, aber immerhin denkbar. Eines ohne sie führen zu müssen war
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