Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
der Hand, rechts von ihm, im Halbdunkel der Eingangshalle, und beobachtete neugierig, wie er, an die Wand gelehnt, seine Gedanken zu ordnen versuchte.
»Du stehst da die ganze Zeit und starrst Löcher in die Luft. Was bedrückt dich, mein Hübscher?«
»Ich kenne dich doch, du bist eine der Küchenmägde und arbeitest mit Jola zusammen.«
»Du Anfänger«, lachte sie auf, trat näher und schob mit dem Besen kleine Dreckkrumen in seine Richtung. »Du trägst hier Schmutz herein und machst mir Arbeit. Und anstatt dich bei mir zu entschuldigen, sprichst du von einer anderen Frau. Das macht man nicht, weder das eine noch das andere.«
Er musste träumen. Erst die Einladung des Barons und nun dieses Frauenzimmer, das ihn derart unverfroren ansprach. Der Teufel höchstselbst musste seinen Schabernack mit ihm treiben und Träume aussenden, die ihm die Sinne verdrehten. Er musste hier weg. Und zwar schnell.
Bischofspalast in Nantes
S ie haben zugeschlagen! Die Aufständischen haben tatsächlich das Poitou besetzt.«
Julien vergaß, Platz zu nehmen. Die Anschreiben noch immer auf dem Arm, fühlte er die Unruhe, die vom Bischof ausging.
»Wusstet Ihr, dass Seine Majestät, als er zwanzig Jahre war, alt wirkte? Dass er, der nun auf die vierzig zugeht, nachdemJohanna ihn zum König gemacht hat, jung wirkt? Anscheinend beflügelt unseren siegreichen Karl der Erfolg, den er gegen die Engländer verzeichnen kann. Das wiedereroberte Paris beispielsweise«, redete der Bischof weiter, ohne auf die von ihm am Morgen als dringlich angeforderten Anschreiben einzugehen.
»Das königliche Heer versammelt sich nun an der Loire unter der Führung des Königs und Arthur de Richemonts. Und wisst Ihr, wer dem Bruder des Herzogs bei den Aufständischen nun auch gegenüberstehen wird? Der Baron Georges de la Trémoille, den man durchaus als Erzfeind von Richemont bezeichnen darf. Baron de la Trémoille hat bereits versucht, Arthur zu ermorden, sicher hofft er auf eine weitere Möglichkeit. Und unser König wird Jean de Dunois gegenüberstehen, der stets davon ausgeht, dass Seine Majestät sich nicht gebührend für die Freilassung seines Halbbruders einsetzt, den die Engländer immer noch festhalten.«
Der Bischof zeigte auf Juliens Arm, auf den Stapel Papier, der sacht zitterte. »Nehmt Eure Anschreiben wieder mit, ich kann mich jetzt nicht darum kümmern. Der Herzog ist besorgt um seinen Bruder Arthur, ich werde ihm einen Besuch abstatten. Ach, noch eine Frage: Gibt es irgendwelche Ergebnisse im Hinblick auf die Vorkommnisse in Saint Mourelles?«
Das Zittern der Papiere verstärkte sich. »Nein, wir haben eine Weile nichts mehr von Pfarrer Jeunet gehört.«
»Ihr habt aber ein Auge darauf, ja?«
Julien konnte sich nicht einmal erinnern, wo die Anschreiben von diesem Landpfarrer lagen. Vor seinem inneren Auge erschien ihm sein Schreibpult, auf dem es keinen freien Flecken mehr gab, nur bergeweise Arbeit. Ein Knoten bildete sich in seinem Hals, denn er wusste, dass er die falschen Prioritäten setzte. Der Angst, den Aufgaben des Bischofs nicht gerechtzu werden, setzte er die billige Hoffnung entgegen, dass es im Dorf keine weiteren Unglücksfälle gegeben hatte. Mehrfach hatte er sich selbst mit dem Gedanken zu beruhigen versucht, dass es unerheblich war, wann er sich um die Ereignisse in Saint Mourelles kümmerte. Dass es keine Rolle spielte, ob er nach drei oder vierzehn Tagen im Dorf erschien. Die Menschen waren bereits tot, daran konnte er nichts mehr ändern. Den im Hinterkopf aufflackernden Gedanken, dass er Schuld auf sich lud, wenn noch jemand umkommen sollte, hatte er stets in weite Ferne verwiesen. »Natürlich habe ich ein Auge darauf«, sagte er.
Der Bischof erhob sich mit in sich gekehrtem Blick. »Ist es nicht seltsam, dass sich jeder dieser Kriege immer auf irgendwelche persönlichen Belange zurückführen lässt?«, fragte er, und Julien wusste, dass er keine Antwort erwartete.
Saint Mourelles
W arum der Küchenmeister ihr den Tag freigegeben hatte, verstand Jola noch immer nicht. Sie hatte ihm erklärt, dass in Saint Mourelles ein Junge, den sie gekannt hatte, zu Grabe getragen werden sollte. Dass sie ihre Schwester begleiten wolle, der es sehr schlecht gehe.
Den Kopf schräg gelegt, hatte der Küchenmeister vor ihr gestanden, hatte vielleicht an Ania gedacht, die letzthin nicht aufgehört hatte zu weinen. »Ich habe gehört, was in Saint Mourelles geschehen ist«, hatte er tatsächlich gesagt und an ihr
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