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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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ein grausames Ende bereitet.«
    Jola sank auf die Holzbank, fasste über den Tisch und streichelte die Hände der Schwester. Wie war sie jemals auf die Idee gekommen, Catheline könnte es in ihrem Leben besser getroffen haben? Sie hatte nicht geahnt, dass es zum Bruch mit Mathis gekommen war, und sie wusste, dass jetzt nicht genug Zeit bleiben würde, ausführlicher darüber zu sprechen. Einsam war Jola, ganz ohne Frage, aber das schmerzte sicher weniger als der Verlust des zukünftigen Ehemannes. Und neben dieser Erkenntnis nahm sie zum ersten Mal bewusst war, leicht erstaunt, es vorher nie bemerkt oder auch nur darüber nachgedacht zu haben, wie sicher sie sich fühlte. Auf dem Schloss, in der direkten Nähe des Barons und seiner Garde, deren Schutz aber anscheinend nicht bis nach Saint Mourelles und in die umliegenden Wälder reichte. Bis dorthin, wo auch Babette ihr Leben gelassen hatte. Bei allen Überlegungen, die Catheline letzthin bei ihrem Besuch im Ziegenstall angestellt hatte, Jola fühlte sich schlichtweg geborgen in ihrem Leben.
    Die Glocke begann zu läuten. Catheline sprang auf. »Wir haben über meinem Geschwätz die Zeit vergessen. Schnell, schnell, die Totenmesse beginnt.«

    Jola so dicht neben sich zu wissen, ihre Schulter an der eigenen zu fühlen gab Catheline Kraft. Auch Mathis kurz gesehen zu haben tat ihr gut. Aufrecht stand sie, die Hände ineinandergefaltet, und versuchte, sich auf die Zeremonie zu konzentrieren. Auf den Abschied von Raymond. Kurz vor der Messe hatte es zur Terz geläutet, es blieb also bis zum Anbruch der Dunkelheit noch mehr als ein halber Tag. Bis dahin mussten sie das Grab geschlossen haben, damit es nicht über Nacht offen stand. Nicht, dass noch mehr Unglück über die Familie des Schmieds kam, dass noch einer von ihnen aus dem Leben schied. Mehr Leid konnten weder Yann noch Marie ertragen.
    »Weil die Elenden immer wieder Gewalt erleiden und die Armen seufzen, will ich jetzt aufstehen. Ich will denen Hilfe verschaffen, die sich danach sehnen«, drang, als wäre er weit entfernt, Vater Jeunets Stimme in Cathelines Gedanken.
    Es war Jolas Ellenbogen, der sie aufmerken ließ. Mehrfach stieß die Schwester sie an, und erst jetzt sah Catheline, dass Eve sich an den Frauen vorbeigeschoben hatte und im Mittelgang stand. Sie schien über Nacht kleiner geworden zu sein, und ihr Gesicht war eingefallen. Falten hatten sich um ihren Mund eingegraben, die sich wie schwarze Linien auf der blassen Haut abzeichneten.
    »Das soll Unser Herr gesagt haben?«, rief sie.
    Vater Jeunets erhobene Hände sanken herab. Er trat vor und nickte. »Ja, mein Kind, das hat er gesagt. Deshalb wird er auch dir Hilfe zukommen lassen.«
    »Wer kann mir noch helfen? Mein Mann kann nicht mehr Mathis’ Schafe hüten, meine Söhne und ich werden es versuchen, und trotzdem weiß ich nicht, wie wir genug Essen zwischen die Zähne bekommen werden. Noch ist Gabin nicht lang unter der Erde, und noch geben uns alle etwas ab, teilen das Wenige, das sie selbst für sich haben. Dafür bin ich dankbar, aber der Schrecken wird schwinden, die Gaben werden kleiner, und dann stehen wir da. Alleine. Ohne Gabin.« Eves schrille Stimme ließ keinen Zweifel. Hier wurden Dinge ausgesprochen, für die ein Gotteshaus nicht der rechte Platz war.
    Blanche kam den Mittelgang hinabgelaufen und drückte Eve mit aller Kraft zwischen die stehenden Frauen zurück. Kurz traten dabei die Adern an ihrem Hals hervor.
    »Es ist doch wahr, was ist das für ein Gott? Was ist mit uns, die geblieben sind und weitermachen müssen?«, schrie Eve, und ihre Söhne schoben sich nah an sie heran.
    Blanche zwängte sich an Pierre vorbei und ließ Eve über den Kopf des Jungen hinweg nicht los. »Mit Gott kannst du hadern, wenn wir hier fertig sind. Wir sind hier wegen Raymond, und jetzt gibst du dem Jungen das letzte Geleit, so wie es sich gehört«, sagte sie scharf.
    Eves Widerstand erlosch, sie legte ihre Wange auf Pierres Kopf und rührte sich nicht mehr.
    Ein Rascheln hinter ihnen ließ Catheline und Jola die Köpfe wenden. Mit ihrer Körperfülle zwängte sich Ysa an den Frauen neben ihr vorbei zum Mittelgang. Ihr Mann Martin gab ihr Handzeichen, sie solle innehalten, aber Ysa nahm ihn nicht wahr. Die Augen zu Schlitzen verengt, sah sie Vater Jeunet an. Mit fahrigen Bewegungen nestelte sie an dem Tragetuch, mit dem der schlafende Luc vor ihrer Brust festgebunden war. Sie nahm den Kleinen aus dem Tragetuch und hielt ihn in die

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