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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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Höhe.
    Catheline befürchtete, die Besinnung zu verlieren, so ängstigte sie dieses Bild. Zwei rasende Frauen im Haus Gottes, und das bei einer Beisetzung!
    Man hätte eine Nadel fallen hören können, so still war es geworden. Selbst Vater Jeunet blieben die Worte aus. Langsam, das Kind auf Kopfhöhe erhoben, schritt Ysa den Mittelgang hinab.
    »Ich weiß, was Eve meint. Wie oft habe ich mir Hilfe ersehnt«, rief sie. »Und immer wieder hat Gott in seiner sogenannten Gerechtigkeit mir die Kinder genommen. Ist das seine Hilfe? Ist das Liebe oder Güte? Nur meine Rachel nahm er mir nicht und das neue Kind. Aber jetzt ist Rachel weg.« Sie schaute in die Gesichter derer, die in den Reihen standen, an denen sie vorbeilief. Hielt ihren Sohn nach links, dann nach rechts, und ihr weicher Leib wogte ob der heftigen Bewegungen. Inzwischen war Luc aufgewacht und lachte, offensichtlich empfand er die schaukelnden Bewegungen als angenehm. Seine Augen funkelten, und er gluckste erfreut auf, als Ysa ihn nun dem Pfarrer entgegenhielt.
    Catheline schaute nach Martin, er war Ysas Mann. Er musste einschreiten. Doch der stand mit gekrümmtem Rücken, das Gesicht in den Händen verborgen.
    »Vater Jeunet, ich weiß, dass auch mein großes Mädchen, meine Rachel, vor mir heim zu Unserem Vater gegangen ist. Mit ihr ist nochmals ein Stück in mir gestorben. Wie viel, glaubt Ihr, ist noch von mir übrig nach vier verlorenen Kindern?«
    Noch nie hatte Catheline Vater Jeunet derart erschüttert erlebt. Sein Blick jagte zwischen der schweigenden Eve, die immer noch Pierre umklammerte, und Ysa hin und her, deren Angst sich inzwischen in großen Schweißflecken auf ihrem Kittel abzeichnete. Vater Jeunets Mund klappte auf und wieder zu, seine Hände rangen miteinander. Er war am Ende seines Lateins.
    »Gott hat mir dieses fünfte Kind geschenkt, aber ich will es nicht mehr haben. Denn wenn Er mir auch dieses nimmt, bleibt nichts mehr von mir über. Nehmt ihn«, sagte sie, fasste Vater Jeunet am Arm und legte den brabbelnden Luc hinein.
    Ein Raunen ging durch die Kirche, einige stellten sich auf Zehenspitzen, um besser sehen zu können, doch niemand wagte es, einzuschreiten.
    Noch einmal strich Ysa dem Jungen über den Kopf, dann rannte sie los, den Mittelgang hinab, stieß die Tür auf und verließ die Kirche.
    Erneut traf Jolas Ellenbogen Catheline an der Hüfte. »Mach was!«, fauchte die Schwester sie an.
    »Warum ich? Was soll ich denn machen?«
    »Du bist seine Haushälterin, und dieser arme, alte Mann braucht jetzt deine Hilfe. Geh und mach irgendwas!«
    Catheline gehorchte und stolperte in den Mittelgang. Vater Jeunet starrte auf das Kind in seinen Armen, das inzwischen angefangen hatte zu brüllen. Mit zögernden Schritten ging Catheline auf ihn zu und nahm ihm den Jungen ab. »Erinnert Euch, was Blanche sagte. Wir sind hier wegen Raymond«, flüsterte sie. »Fahrt fort und gebt ihm sein letztes Geleit.«
    Luc zappelte und pumpte erneut seinen kleinen Leib mit Atem auf, um weiterzubrüllen. In diesem Moment wusste Catheline, was sie zu tun hatte. Dieses aufgelöste Bündel Mensch gehörte zu seiner Mutter, da gab es keinen Zweifel. So verließ auch sie die Kirche und machte sich auf, Ysa zu suchen.

    Der Geruch der Erde war einer der Gründe, weshalb Mathis seine Arbeit liebte. Nie hatte er mit irgendwem darüber gesprochen, weil ihm diese Beobachtung abwegig erschien, aberer war davon überzeugt, dass Erde ihren eigenen Geruch hatte, der sich je nach Wetter, Jahreszeit oder gar der Beschaffenheit des Bodens änderte. Sie konnte lehmig und nach dem Regen süßlich riechen. Für den Geruch, den Erde im Sommer annahm, wenn sie von der Sonne trocken und spröde geworden war, kannte er keine Worte.
    Er blickte über die großflächige Parzelle, die er zu bearbeiten hatte, und als hätten sie seine gedankliche Abwesenheit gespürt, blieben die vor den Pflug gespannten Ochsen stehen. Die Erde, die heute süßlich roch, musste in Furchen gelegt, die vom Schnee herbeigeschobenen Steine aufgeklaubt und die Hafersaat in den Boden eingebracht werden. Eine Arbeit, bei der Mathis im letzten Frühjahr noch zwei Knechte zur Seite gestanden hatten. Beide waren während seiner Genesung verschwunden. Nahezu über Nacht hatten sie ihre Beutel gepackt und sich anderswo einen Bauern gesucht. Zu verdenken war es ihnen nicht. Nur Gabin war ihm nach dem Überfall geblieben. Immer wieder hatte er den Tagelöhner herbeigerufen, damit er gemeinsam mit Avel über

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