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Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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wollte ich ihm für die Schmiede holen, und was bringe ich ihm mit?«
    »Warum hast du nicht Hilfe geholt?« Zu gern hätte Catheline sich mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen. Was kam aus diesem Holzschädel nur heraus? Nichts als dummes Zeug, das in seiner Einfältigkeit kaum mehr zu übertreffen war.
    »Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht … Ich konnte ihn doch nicht dort liegen lassen, so unwürdig, und ihn den Füchsen und anderem Getier überlassen. Aber ich schwöre dir, dass ich ihn nicht mehr anpacke. Das mache ich nicht mehr.«
    Und wieder lief er los, ließ Catheline zurück. Sie schaute zum Wagen, dann wieder auf den Umhang zu ihren Füßen. Sie raffte den Rock, rannte ins Pfarrhaus, wobei sie mit ihren Schuhen und dem nassen Rock eine Dreckspur auf dem hölzernen Boden hinterließ. Griff sich das Zündeisen, den Feuerstein, eine Handvoll Zunder und die Fleischgabel. Schob alles bis auf die Fleischgabel in ihre Rocktasche und lief wieder über den Pfarrhof zum Friedhof zurück.
    Vor dem Umhang blieb sie stehen. Stieß die Fleischgabel hinein, hob ihn auf und trug das wollene Tuch mit gestrecktem Arm wie eine Fahne vor sich her, bis hinter die Kapelle, vorbei an Pferd und Wagen. Trug ihn bis zum Rand der Mauer, die den Friedhof säumte, ließ den Umhang fallen, ging in die Hocke und entfachte mit bebenden Händen ein Feuer.
    Gierig fraßen sich die Flammen durch den wollenen Stoff, der Rauch stieg auf und brannte Catheline heiß in den Augen. Doch sie konnte sich nicht rühren, hockte da, und in ihr tauchten Bilder vom letzten Johannisfeuer auf, als die Frauen, beseelt vom Gesang der anderen, um die Wette über die Flammen gesprungen waren. So hoch und weit, die Röcke gerafft, dass hier und da sogar eines der Knie aufgeblitzt war. Und ganz weit vorn, neben den Flammen hatte Raymond gestanden. Hatte die Schultern gewiegt, geklatscht und mit schiefer Stimme gesungen, die erahnen ließ, dass er bald zum Mann werden würde.
    Langsam erloschen die Flammen, und die Erinnerung an die Wärme des Johannisfestes löste sich auf.
    »Des Teufels Winter. Das war des Teufels Winter. Und jetzt will es nicht einmal richtig Frühling werden. Sind das die Vorboten der Apokalypse, von der Vater Jeunet schon so oft gesprochen hat? Ist das schon Gottes Zorn, der auf uns liegt?«
    Catheline sprang auf, so schnell, dass ihr schwindelig wurde. Hinter ihr stand Eve und rang die Hände. Sie zeigte zum Wagen. »Da ist er, Raymond. Ich habe ihn gesehen. Der Teufel hat ihn wieder ausgespuckt, und ihr habt ihn gefunden. Sicherlich ist Gott erzürnt, wie sollte es anders sein.«
    »Was machst du hier?«, fuhr Catheline sie an.
    »Gabin, ich wollte zu Gabins Grab«, antwortete Eve, griff nach Cathelines Hand und riss sie mit sich. »Ich habe so viele Fehler gemacht, so viele schreckliche Fehler. Ich werde im Fegefeuer schmoren, wenn ich überhaupt noch dorthinkomme.«
    »Wo willst du hin? Was … Ich muss dem Pfarrer Bescheid geben, er ist in seiner Studierstube, er weiß noch nichts. Eve! Halt! Raymond – wir können ihn nicht allein lassen.«
    Aber ihre Worte verhallten. Eves Hand ließ die ihre nicht los und zerrte und zog, bis sie das Haus des Schmieds erreichten.
    Eve stieß die Tür auf und blieb unvermittelt stehen, dass Catheline in sie hineinlief.
    Dicht beim Feuer saß Yanns Mutter, auf dem Schoß die Zwillinge.
    Marie stand über die Feuerstelle gebeugt und rührte in einem Topf, der zu tief über die Flammen gehängt worden war und heftig dampfte. Es roch nach angebranntem Essen. »Endlich!«, sagte sie nur und ließ den Holzlöffel in den Topf fallen, als sie Eve erblickte. »Endlich werden wir Frieden finden. Wo habt ihr ihn gefunden?«
    »Ich weiß es nicht, aber du hast recht, dein Raymond ist da. Nun könnt ihr ihn auf geweihtem Boden beisetzen«, stieß Eve hervor. Sie ließ Cathelines Hand los, fiel vor Marie auf die Knie und vergrub ihr Gesicht in deren Schürze. »Es tut mir so leid!«, schluchzte sie auf. »Ich habe so vieles falsch gemacht, euren Sohn beschuldigt, böse Dinge gesagt.«
    Dann sah sie auf und langte nach Maries Händen. »Bitte, bitte verzeih mir. Du weißt, ich bin mit dem Mund schneller als mit den Gedanken, aber ihr habt so viel Leid erfahren, und ich habe nichts getan, außer noch mehr Öl in eure Wunde zu gießen.«
    Langsam strich Marie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, schob sie unter das Tuch, das sie um den Kopf geschlungen hatte. Erschrocken bemerkte Catheline, dass das

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