Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
von sich gegebenhatten, der Wahrheit entsprachen? Vielleicht war dies der Zeitpunkt, Näheres zu erfahren?
Leise huschte sie den Gang hinab und hielt dann inne. Warum sollte sie durch die Gänge schleichen? Mit erhobenem Kopf schritt sie aus und war dankbar, dass die Kienspäne noch nicht erloschen waren. Auch wenn das Licht, seit sie sich in ihr Gemach zurückgezogen hatte, unverändert war, erschienen ihr die Schatten länger, die Lichtkegel unruhiger. Kälte zog durch das Schloss. Oder war ihre Wahrnehmung durch die innere Unruhe getrübt? Ihr Entschluss zu handeln, Antworten auf ihre Fragen zu finden, geriet so schnell, wie er entstanden war, wieder ins Wanken. Vielleicht waren die Männer tatsächlich früh zu Bett gegangen? Vielleicht schlich sie hier herum und machte sich zur Närrin?
Bei Amédés Gemach schaue ich vorbei, er ist mein Gatte. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ich ihm am Abend noch einen kurzen Besuch abstatte, um ihm eine geruhsame Nacht zu wünschen, ermutigte Bérénice sich und schritt wieder zügiger aus.
Vor Amédés Tür zupfte sie den Ausschnitt ihres Kleides zurecht und schob sich eine Strähne aus dem Gesicht. Behutsam klopfte sie an und überlegte kurz, warum sie so zaghaft vorging, ob sie nicht gehört werden wollte. Als nichts geschah, presste sie ihr Ohr an die Tür und lauschte.
Stille.
Erneut klopfte sie an und begann zu zählen. Als sie die Zwanzig erreicht hatte, wagte sie es, einen Blick in Amédés Gemach zu werfen. Es war leer, das Bett unberührt.
Was habe ich auch erwartet?, fragte sie sich und spürte, dass Wut in ihr aufstieg. Dann werde ich jetzt Platz nehmen und ausharren, bis er erscheint, beschloss sie und trat ein. Steuerte auf den Stuhl zu und blieb abrupt stehen.
Sie kannte das Schloss und seine ihm eigenen Geräusche. Knackendes Holz, Wind, der durch die Gänge pfiff, doch hier mischten sich Stimmen darunter. Leise, aber deutlich wahrnehmbar. Sie fuhr herum. Ohne zu wissen, warum sie es tat, duckte sie sich und starrte auf Amédés angrenzendes Nebengemach.
Das Laboratorium! Hier steckten die Männer! Hierhin hatten sich diese Heuchler zurückgezogen. Hatten gedacht, dass sie das dumme Weib täuschen konnten.
Bérénice beugte sich vor, hob ihren Rock und zog sich die Schuhe aus, schauderte, als sie unter ihren bloßen Füßen den kalten Steinboden spürte. Die Schuhe in der einen Hand, den Rock ihres Kleides mit der anderen in die Höhe gerafft, eilte sie aus Amédés Gemach. Den Seitengang hinauf, von dem aus im Zuge der Umbauten kleine Durchbrüche eingelassen worden waren, die, Fenstern gleich, dem Nebengelass Licht und frische Luft spenden sollten.
Nach wenigen Stufen stutzte sie, stellte die Schuhe ab und ließ den Rock herabfallen. Wo waren die Durchbrüche? Der Seitengang war nicht beleuchtet, und nirgends war ein Lichteinfall aus dem Laboratorium zu erkennen. Mit den Händen strich sie suchend an der Wand entlang, ihre Füße tasteten sich die Stufen hinauf. Inzwischen ging ihr Atem immer lauter.
Als ihre Finger ins Leere griffen, um dann weichen Stoff zu erfühlen, seufzte sie erleichtert auf. Amédé hatte die Durchbrüche anscheinend inzwischen mit dunklem Stoff verhängen lassen.
Wenn er schlau war, hat er an den Vorhängen kleine Schellen anbringen lassen, die erklingen, sobald sie berührt werden, dachte Bérénice und fuhr mit ihren Fingern den Stoff entlang, bis sie den Saum erreichten. Kein Geräusch. Keine Schellen. Langsam schloss sie die Finger und schob den Vorhang beiseite.Das Laboratorium war nur schwach erleuchtet. Dämmerig war es, fast dunkel.
»Gebt mir das Schwert«, hörte sie Pater Bertrand sagen.
»Seid Ihr sicher, dass wir es wagen können?«, antwortete Hauptmann Bouchet. Die Lichtverhältnisse schienen sich auf die Stimmen der Männer auszuwirken, die in gedämpftem Ton miteinander sprachen.
Ein Kratzen erklang. Bérénice schob den Stoff ein Stück weiter zur Seite und beugte sich ein wenig vor. Pater Bertrand zog mit der Klinge des Schwertes mehrere Kreise auf den Boden. Kurz hielt er inne und erhob das Schwert über seinen Kopf. Die Augen geschlossen, murmelte er leise Worte, die Bérénice nicht verstand. Dann ritzte er Symbole in die Kreise hinein: ein auf dem Kopf stehendes Kreuz und einen fünfzackigen Stern, den er mehrfach zeichnete. Als würde er zur Predigt ansetzen, erhob der Pater die Stimme: »Schon im Buch der Könige wird verkündet, dass das Gewicht des Goldes, welches Salomo, der Sohn
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