Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
eigenhändig sein Pferd los und saß auf. Als er an Bérénice vorbeiritt, zerriss es ihn fast, als er ihren dankbaren Blick auf sich spürte.
Saint Mourelles
V erzeiht, dass ich störe, aber ich möchte gern ein wenig spazieren gehen.« Catheline wusste, dass Vater Jeunet den richtigen Zusammenhang herstellen würde, und beobachtete ihn. Die Haltung seines Kopfes, die Bewegung seiner Schultern, die Geschwindigkeit, mit der er die Finger an die Lippen führte und an ihnen zu zupfen begann.
»Dein Spaziergang wird nicht zufällig zum Schloss führen?«, fragte er, ohne vom Brief, der vor ihm lag, aufzusehen.
Vater Jeunet nicht anzulügen war eines von Cathelines obersten Geboten, das jedoch weniger der Wahrheitsliebe als der Erfahrung geschuldet war. Denn es war, wie sie mehrfach erlebt hatte, deutlich unangenehmer, in der Beichte den Mut zu finden, zu ihren kleinen und großen Lügen zu stehen, als sie von vorneherein zu vermeiden und die direkte Auseinandersetzung zu suchen. So, wie beinahe alles zwei Seiten hatte, gab es eben auch Nachteile, wenn man mit einem Mann Gottes in einem Haus lebte. »Doch, sicher wird er das«, sagte sie und versuchte, dabei entschlossen zu klingen.
Die Finger hatten die Lippen inzwischen freigegeben und die Schreibfeder ergriffen. Die rechte Hand hielt die Spitze fest, während die linke über den weißen Schaft fuhr. Hinauf und hinab, hinauf und hinab. »So ähnlich muss es sein, wenn man Kinder aufzieht. Ich kann dir ja nun nicht ewig den Ausgang untersagen, aber ich bin schon geneigt, ihn dir eine Weile zu verweigern. Aus Prinzip, versteht sich.«
»Wie Ihr meint, Vater Jeunet.« Catheline drehte sich um und wollte die Studierstube verlassen.
»Aber es wird mir zu anstrengend sein, das Verbot aufrechtzuerhalten. Wenn du meinst, du willst deine Schwester aufsuchen, dann tu es.«
Ohne darüber nachzudenken, sprang Catheline mit drei Sätzen zu Vater Jeunet und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.
»Ich sage es ja, so muss es sein, wenn Töchter ihre Väter um den Finger wickeln«, brummte er und lächelte doch.
Unter der von Fett und Ruß verschmutzten Haube fiel gelocktes Haar hervor. Es rahmte mit seinem weizenhellen Ton das hübsche Gesicht, dessen Haut auffällig weich und weiß war. Das muss Ania sein, die ihren Dienst aufnahm, nachdem ich zu Vater Jeunet ging, dachte Catheline. Ich glaube, Jola hat sie bei einem ihrer Besuche erwähnt. Das ist die Magd, die den hölzernen Kamm besitzt und damit den anderen das Haar entwirrt.
Als die Magd sie erblickte, riss sie die Augen auf, große, leuchtend blaue Augen, und kam umgehend auf sie zugeeilt. Ihr überraschter Gesichtsausdruck veränderte sich binnen weniger Atemzüge. Wurde weich und mitfühlend. »Oh, dass ich dich hier treffe«, sagte Ania und schob eine Strähne, die ihr am Kinn klebte, unter die Haube zurück. »Ich wollte mit dir sprechen, und du weißt ja sicher, warum.« Ihre wasserblauen Augen fixierten Catheline, musterten sie von Kopf bis Fuß. »Es tut mir schon ein wenig leid, dass das mit euch nicht geklappt hat, aber du wirst sicher einen Neuen finden.«
Wovon redete diese Frau? Redete sie von Mathis? Woher wusste sie, dass er …?
Du bist wütend, weil ich so viel Zeit auf dem Schloss verbringe und weil deine Schwester dir Unwahrheiten einflüstert, erklang Mathis’ Stimme in ihrem Kopf.
Just in diesem Augenblick, im Angesicht dieses Weibes fügte sich eines zum anderen, ergaben die Worte einen Sinn. Cathelines Blickfeld verengte sich. Es schien auf dem Schlosshof nur noch diese Frau zu geben, deren Anmut wie ein Gift wirkte, das, in feinen Dosen geträufelt, brennenden Neid entfachte.»Was meinst du damit?«, fragte sie schwerfällig. Ihre Zunge schien am Gaumen zu kleben.
»Ich dachte, Mathis hätte mit dir gesprochen, aber du weißt ja, wie Männer sind. Solchen Gesprächen gehen sie gern aus dem Weg.« Glockenhell lachte sie auf, wobei sie den Kopf leicht in den Nacken warf.
Die Erwähnung von Mathis’ Namen durch dieses Weib ließ in Catheline Panik aufsteigen, und für einen Moment wünschte sie, der Magd an die beim Lachen frei liegende Kehle zu gehen. Sie zu umfassen und den Hals, ja das ganze Weib zu schütteln, bis ihr klar wurde, dass sie nie wieder diesen Namen im Munde führen durfte.
»Nun gut«, fuhr Ania fort, »wir sind ein Paar. So wie ich das sehe, wird Mathis mich heiraten müssen. Du verstehst schon …«
Nichts auf dem schönen Gesicht erschien Catheline nunmehr freundlich
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