Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
seufzte Vater Jeunet. »Aber vielleicht sollten wir den Gedanken tatsächlich einmal aufnehmen, dass auch eine Frau als Täterin infrage käme.«
Mathis und Catheline schüttelten gleichzeitig den Kopf, und wäre die Situation nicht die gewesen, die sie just war, hätten sie sicher gemeinsam darüber gelacht. So beendeten sie beide abrupt die Bewegung.
»Lasst es uns durchdenken«, hielt Vater Jeunet an seinen Überlegungen fest. »Auch Frauen reisen mit, wenn der Baron unterwegs ist. So würde auch der Mord an Soazig erklärbar.«
»Das müsste eine arg kräftige Frau sein«, sagte Mathis und runzelte die Stirn.
Catheline sah ihn von der Seite an. Wenn er wieder anfangen würde, vom Küchenmeister zu sprechen, würde sie ihn entweder anschreien oder umgehend davonlaufen, hinein ins Haus, um sich derartigen Unsinn nicht anhören zu müssen.
»Nichts ist in Gottes großem Garten unmöglich, eine starke Frau schon gar nicht«, sagte Vater Jeunet leichthin und rieb sich mit der Hand über den Bauch. »Aber mit leerem Magen denkt es sich nicht gut. Lasst uns hineingehen.«
»Ich möchte nach Hause, aber habt Dank für die Einladung«, erwiderte Mathis gereizt.
»Oh, du willst allein zu Hause herumsitzen, während wir gleich Brot mit fettem Schmalz genießen.« Vater Jeunet zuckte die Schultern. »Auch gut. Catheline, komm mit, ich habe Hunger.«
Nach einigen Schritten warf Vater Jeunet einen Blick zurück, um sich zu vergewissern, dass Mathis nicht mehr in Hörweite war. »Ein Dickschädel, dieser Mann! Unglaublich«, sagte er und strich Catheline über den Oberarm. »Verliere nicht die Geduld mit ihm, Kindchen. Vertraue mir!«
Schloss Troyenne
V ielleicht hatte Bérénice sich getäuscht. Noch einmal ging sie in ihrer Erinnerung das gemeinsame Essen mit Amédé, Pater Bertrand und Hauptmann Bouchet durch. Francine hatte, den ganzen Tag unpässlich, in der Abendrunde gefehlt. Die Schwester war eine Meisterin darin, jede Konversation in Schwung zu halten, aber auch ohne sie hatte es angeregte Gespräche mit den drei Männern gegeben. Im Vordergrund hatte selbstverständlich Seine Majestät gestanden, dem es anscheinend gelang, den Aufstand, den die Anführer vollmundig »Praguerie« nannten, einzudämmen. Im Bourbonnais hatten die ansässigen Adeligen den Aufständischen die Gefolgschaft verweigert und den königlichen Kompanien Vorschub geleistet. Selbst der maulfaule Hauptmann hatte sich immer wieder in das Gespräch eingebracht.
Bérénice schritt in ihrem Gemach auf und ab, seltsam fremd erschien ihr der Raum inzwischen, und obwohl eine gute Seele des Gesindes angefeuert hatte, fröstelte sie. Was machte sie unruhig angesichts dreier Männer, die in Gesellschaft einerFrau versuchten, sich von ihrer besten Seite zu zeigen und sich dabei für ihren König begeisterten?
Erstens beunruhigt mich das zwanghaft aufrechterhaltene Gespräch, hielt sie in Gedanken fest. Diese Mühe machen sich die drei Männer sonst nicht, sondern überlassen die Aufgabe gern Francine und mir. Zweitens haben sich alle drei mit den unterschiedlichsten Gründen sehr früh zur Nachtruhe begeben. Sonst genießen sie, sobald Francine und ich den Tisch verlassen, noch bis tief in die Nacht ihre Weingelage. Drittens, fügte sie hinzu, verwundert mich Amédés Drängen, ebenfalls zeitig schlafen zu gehen. Seit wann interessiert es ihn, wann ich mich zur Nachtruhe begebe? Sie schüttelte den Kopf, als würde sie sich damit selbst die Antwort geben. Vor allem seine Besorgnis, sie könne zu wenig Schlaf bekommen, erschien Bérénice nahezu lachhaft. Mehrfach hatte er betont, wie anstrengend eine Reise doch sei, vor allem für Frauen. Noch tagelang könne sie Auswirkungen haben und den Leib schwächen.
Der Abend wich erheblich von den vorangegangenen ab, auch von denen, die sie vor ihrer Abreise nach Gut Lemoine mit den drei Männern verbracht hatte. Auch wenn sie nicht näher benennen konnte, was sie unruhig machte, kreisten ihre Gedanken unentwegt um das Gespräch. Um Blicke und Gesten, um gesagte und nicht gesagte Dinge.
Es war so offensichtlich: Die Männer wollten heute Abend unbedingt ungestört bleiben. Aber wobei wollten sie allein sein? Was planten sie?
Behutsam öffnete Bérénice die Tür und lauschte in den Gang hinaus. War sie nicht genau aus diesem Grund hierher zurückgekommen? Um sich einen Eindruck zu verschaffen, wie es Amédé erging und wie er seine Zeit verbrachte? Ob all die Mutmaßungen, die Schwager Ludwig und Julien
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