Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
und mitfühlend, sicherlich hatte sie diese Regungen nur zu sehen geglaubt. Zu Mitleid und Freundlichkeit war dieses Weib doch nicht fähig. Berechnend war sie und kalt, nur auf sich und ihren Vorteil bedacht, so offensichtlich, dass man es schon nach wenigen Sätzen erfasste. Inzwischen empfand sie das Lächeln sogar als widerlich anrüchig, es ließ keine Fragen offen.
Ihre Wut glich einem Funkenflug, grell und blitzend, wie er bei einem zu schnell geschürten Feuer entstand, der durch Cathelines Körper raste und jeden Gedanken verschlang. Bisher verborgene Kräfte erwuchsen in ihr, die sich von allein ihren Weg bahnten, durch die Arme bis in die Hände fuhren und nun doch den Hals der Magd ergriffen.
Noch nie hatte sie, soweit sie sich erinnern konnte, jemandem Gewalt angetan.
Doch es war anders, als sie angenommen hatte.
Befriedigend war es, und sie wusste, ohne darüber nachdenken zu müssen, was zu tun war: Schütteln, immer wieder musste sie dieses Weib schütteln, Mathis aus ihr herausschütteln. Er gehörte zu ihr, zu Catheline, und nur zu ihr. Nicht ein Gedanke an Mathis durfte in diesem Miststück übrig bleiben. Sie hörte, dass ein kehliger Schrei dem eigenen Mund entschlüpfte, sah die vor Schreck geweiteten Augen der Nebenbuhlerin, in widerlichstem Wasserblau. Fühlte deren Fingernägel, die sich in die Haut ihrer Wangen bohrten, was die Wut nochmals auflodern ließ. Das Miststück wehrte sich, wollte Mathis nicht loslassen. Sollte sie doch sehen, was sie davon hatte.
Dann wurde Catheline von zwei Knechten weggerissen. Als ihre Hände sich von Ania trennen mussten, rollte eine Welle der Enttäuschung durch sie hindurch. Das Miststück rang nach Luft, spuckte, schien Zeter und Mordio zu schreien, wobei sie auf Catheline zeigte und einige Schritte rückwärtstaumelte. Keines der Worte erreichte Catheline.
Kurz schob sich das Gesicht des schönsten Mannes Gottes in ihr Blickfeld, dann bemerkte sie Jola. Direkt vor sich. Wut und Angst hatten ihr Gesicht in eine hässliche Fratze verwandelt, so hatte sie die Schwester nie zuvor gesehen. Dieser Anblick, so grotesk und fremd, löste die Starre. »Das Miststück hat … Das geht nicht …«, stammelte Catheline und schaffte es nicht, die Ungeheuerlichkeit in Worte zu fassen.
»Es ist egal, was Ania hat. Du führst dich auf wie eine Furie«, schleuderte die Schwester ihr entgegen und zerrte sie mit sich. Weg von dem Miststück, weg vom Pater und den beiden Knechten. Irgendwann blieb Jola stehen, am ganzen Leib bebend.
»Hast du davon gewusst?«, fragte Catheline nur.
»Er hat es dir also nicht erzählt. Du hast es erst durch Ania erfahren, richtig?«
»Ja, da meine Schwester es nicht für nötig befunden hat, mich aufzuklären, was vor sich geht.«
»Ich hatte …«, brauste Jola auf, wobei sie mit den Händen in der Luft herumfuchtelte.
Catheline winkte ab. Obwohl ihr ein wenig schwindlig war, zwang sie sich, die Fragen zu klären, die sie hierhergetrieben hatten. Für ihren Schmerz blieb noch genug Zeit. Ihr restliches Leben würde sie zusehen können, wie Mathis all das mit diesem goldgelockten Weib lebte, was er ihr nicht hatte geben wollen.
Halt ein, hör auf damit!, rief sie sich zur Ordnung und versuchte, die auf sie einstürmenden Gedanken aufzuhalten. Es geht um Raymond, um Rachel, um Babette. Um Gabin, um Grete und um die Magd Soazig, die ich nicht kenne. Ich muss Antworten finden, auch wenn mein Leben auseinanderbricht.
Mit zitternden Händen holte sie unter dem Umhang die silberne Spange hervor. »Jola, es gibt Dinge, denen ist nichts mehr hinzufügen. Lass es gut sein, ich will es nicht hören«, sagte sie und war erstaunt, wie beherrscht ihre Stimme klang. Dann öffnete Catheline die Hand. »Hast du diese Spange schon einmal gesehen?«
Jola warf einen flüchtigen Blick darauf. »Ja, der Baron hat diese Dinger an seinem Umhang. Letzthin habe ich eine neue Spange angenäht, weil eine fehlte.« Sie trat einen Schritt näher und versuchte, Catheline zu umarmen. »Bitte, hör mir zu. Ich wollte dir ja …«
Da war sie, die Antwort. Sie hatte eine Antwort, doch der Schmerz ließ sich nicht mehr bändigen. Der Anblick der silbernen Spange in ihrer Hand verschwamm. Vor ihrem inneren Auge erschien das Bild von Mathis, wie er sich vorbeugte, um dieses Miststück zu küssen. »Lass es gut sein«, schrie Catheline.»Geh lieber zu deiner Freundin, und lass dir das Haar von ihr richten, es ist in der ganzen Aufregung durcheinandergeraten.«
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