Sehet die Sünder: Historischer Roman (German Edition)
Hastig schüttelte Catheline den Arm der Schwester ab und lief davon.
Bischofspalast in Nantes
S o energisch kenne ich Euch ja gar nicht«, sagte der Bischof, als Julien eintrat.
Hastig küsste Julien den Siegelring. »Verzeiht, dass ich so darauf drängen musste, Euch zu sprechen, aber …«
»Ihr wollt mir den Vertrag übergeben, den der Baron hoffentlich unterzeichnet hat?«, fiel ihm der Bischof ins Wort.
Erneut tastete Juliens Hand nach dem Riemen seiner Tasche. Den Vertrag. Nicht einen Gedanken hatte er seit der Begegnung mit Bérénice darauf verschwendet. Sein Pferd hatte er im Hof stehen lassen, war zum Generalvikar geeilt und hatte gefordert, den Bischof zu sprechen. Und zwar umgehend. Ein erstauntes Brauenzucken war dem Vikar die Forderung immerhin wert gewesen, aber ohne weitere Nachfragen war er seinem Wunsch nachgekommen. »Ja, Baron de Troyenne hat den Vertrag unterschrieben. Aber sicher wird Euch auch der Umstand interessieren, dass er Teufelsbeschwörungen vornimmt.«
Das erste Mal erlebte Julien den Bischof sprachlos. Er vergaß sogar seine Hände, die wieder wie zum Gebet geschlossen auf seinem Brustkorb lagen, damit er in Ruhe seine Daumen umeinander kreisen lassen konnte. Es war deutlich zu erkennen, wie es in seinem Kopf arbeitete. »Woher wisst Ihr das?«, fragte er dann.
»Von seiner Frau.«
»Welche Art der Teufelsbeschwörung wurde vorgenommen?«
Julien schluckte. »Die Baronin und ich hatten kaum Gelegenheit, näher darüber zu sprechen. Sobald sie auf Gut Lemoine zurückkehrt, werde ich mich damit befassen.«
Der Bischof sprang auf und begann vor ihm auf und ab zu laufen. »Warum erzählt Euch die Baronin solche Dinge? Sie wird ja wohl wissen, welche Tragweite ihre Aussage hat?« Er musterte ihn eingehend, und Julien ahnte, dass ihm die Antwort ins Gesicht geschrieben stand.
»Sie erschien mir sehr erschüttert«, wagte er anzudeuten, »insofern bin ich mir unsicher, ob sie sich der Tragweite bewusst ist.«
Der Bischof ließ ihn nicht aus den Augen, denn Julien war ihm die Antwort auf seine erste Frage schuldig geblieben, auf die er nun wartete. Fordernd und wortlos.
Er ist ein brillanter Lehrmeister, stellte Julien fest. Nun demonstriert er mir die Macht des Schweigens, lässt mich am eigenen Leib erfahren, wie kraftvoll diese Waffe bei gezieltem Einsatz ist. Er kennt die Antwort, was bleibt mir, als es ihm gleichzutun?
Einer Katze gleich, die beschloss, ihre Beute zu verschonen, wandte sich der Bischof nach geraumer Zeit ab und stellte sich, den Rücken Julien zugewandt, ans Fenster. »Gut«, sagte er, »dann lasst uns überlegen. Erstens bleibt festzuhalten, dass es Gerüchte gibt, dass der Baron mit dem Verschwinden der Kinder und den Morden in Zusammenhang steht.«
Julien nickte. Irritiert sah der Bischof über seine Schulter hinweg, und sofort ergänzte Julien: »Ja, so ist es.«
»Zweitens erfahren wir nun, dass es Beweise gibt, dass er Teufelsbeschwörungen betreibt.«
»Ja, so ist es.«
»Das heißt, wir haben auf der einen Seite Beweise, auf der anderen Gerüchte. Worauf werden wir also bei der Anklage unseren Schwerpunkt legen?«
»Welche Anklage, bitte?«
Eine steile Falte bildete sich auf der Stirn des Bischofs, und Julien fühlte sich unter einer Anspannung einem englischen Langbogen gleich, der unmittelbar vor dem Abschuss des Pfeils stand.
»Natürlich werden wir auf die Teufelsbeschwörung den Schwerpunkt legen, das ist der Aufhänger! Denn diese Ketzerei ist beweisbar, sie ist die sichere Seite. Die Morde, an sich eine unsichere, weil bisher nicht beweisbare Angelegenheit, können mitverhandelt werden. Und der Clou wird sein, dass wir ihm die Bandbreite der Anklage erst zu einem späteren Zeitpunkt eröffnen. Er wird uns unterschätzen! Das sage ich Euch: Der Hochmut ist nur eine der Sünden, der sich der Baron schuldig macht. Und wie Ihr wisst, ist der Hochmut die Wurzel allen Übels.«
Nun war es an Julien, sprachlos zu sein. Er schüttelte den Kopf, ganz sachte, und die Anspannung nahm, auch wenn er das für unmöglich gehalten hatte, weiterhin zu und wurde zum altbekannten Reißen in den Schultern.
»Meine Güte, wenn ich nicht schon so viel Arbeit in Euch investiert hätte, ich würde es wirklich in Erwägung ziehen, Euch wieder nach Paris zu schicken, zurück in ein Leben, in dem Ihr Euren Vater bei seinen kaufmännischen Tätigkeiten unterstützt. Manchmal befürchte ich, dass Ihr den Aufgaben, die hier an Euch gestellt werden, nicht
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