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Sehnsucht

Sehnsucht

Titel: Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Blue
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seit Jahren, ihn kann nichts so leicht aus dem Konzept bringen. Aber letzte Nacht war er so erschüttert, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Und dich kenne ich vielleicht noch nicht allzu gut, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass du das Gleiche erlebt hast wie er. Was auch immer das gewesen ist. Hab ich recht?«
    Ein Teil von Sam wollte immer noch alles abstreiten – wenn auch nur aus dem Grund, dass Andre ganz offensichtlich nicht wollte, dass irgendjemand darüber Bescheid wusste. Aber Bo war jetzt sein Arbeitgeber. Er war ihm die Wahrheit schuldig.
    »Ja«, sagte Sam schließlich. »Ich weiß zumindest, was ich wahrgenommen habe, und ich glaube, dass Andre das Gleiche gespürt hat. Aber da bin ich mir nicht ganz sicher, weil ich noch keine Gelegenheit hatte, mit ihm darüber zu reden.«
    »Was war es?« Bo lehnte sich nach vorn, sodass ihm sein dicker Zopf über die Schulter rutschte. »Erzähl's mir.«
    Sam fragte sich, ob Bo sich bewusst war, dass er immer noch Sams Hand hielt.
    »Die Temperatur sank rapide ab, dann hatte ich das plötzliche Gefühl, dass etwas in der Nähe war. Etwas Gefährliches.«
    »Aber du hast nichts gesehen?«
    »Gar nichts. Für einen kurzen Moment habe ich gedacht, irgendetwas würde sich zeigen. Sich einfach aus dem Nichts heraus materialisieren. Aber dann war es weg. Das Gefühl verschwand genauso plötzlich, wie es gekommen war.«
    »Und Andre hat das Gleiche erlebt?«
    »Ich glaub schon.«
    Bo lehnte sich zurück. Seine Finger rutschten dabei von Sams, als ob er gar nicht bemerkt hätte, dass sie je dort gewesen waren. Sam wünschte, er würde ihre Abwesenheit nicht als so schmerzlich empfinden.
    »Warum wolltest du uns das letzte Nacht nicht erzählen?«, fragte Bo nach einem kurzen Moment der Stille. »Ihr habt beide nichts erwähnt.«
    »Ich kann nicht für Andre sprechen, aber ich habe nichts gesagt, weil ich nicht wusste, wie ich es einordnen sollte. Ich brauchte einfach etwas Zeit, um alles zu verdauen.« Sam senkte schuldbewusst den Blick. »Tut mir leid, ich hätte es dir gleich sagen sollen.«
    »Mach dir keine Gedanken. Nach meiner ersten übersinnlichen Erfahrung habe ich eine ganze Woche lang niemandem davon erzählt.«
    Erstaunt schaute Sam auf. »Wirklich?«
    »Jap. Beim ersten Mal ist es ein so einschneidendes Erlebnis, so etwas Einzigartiges… Ich schätze, ein Teil von mir wollte das alles einfach für sich behalten, verstehst du?«
    »Ja. Ich weiß genau, was du meinst.« Sam behielt seine erste Begegnung mit dem Übersinnlichen in diesem Moment lieber für sich. Er war dreizehn gewesen und hatte gerade seinen ersten Kuss unter der Tribüne auf dem Sportplatz der Schule bekommen. Dabei waren plötzlich überall auf dem Körper des anderen Jungen blaue Flecken und lange Kratzer erschienen.
    Niemand hatte unangenehme Frage gestellt, da die Kleidung alles hatte verdecken können. Sam und der Junge hatten nie ein Wort darüber verloren und es gab danach auch keine weiteren Küsse mehr.
    Falls Bo den Schmerz dieser Erinnerung auf Sams Gesicht lesen konnte, ließ er es sich nicht anmerken. »Was hältst du davon, wenn wir jetzt mit den Bändern weitermachen?«
    »Gute Idee.«
    ***
    Bis zum Mittag waren sie mit der Hälfte der Aufnahmen durch. Sam hatte jetzt schon das Gefühl, dass er seit Tagen auf den Bildschirm starrte, dabei waren es nur ein paar Stunden. Und bis jetzt hatte sich gar nichts gezeigt. Er seufzte und rieb sich die Augen.
    »Langweilig, hm?« Bo schaute grinsend zu ihm rüber.
    Sam lachte. »Tödlich. Bitte sag mir, dass es nicht immer so einschläfernd ist.«
    »Zum Glück nicht. Warte nur bis du mal siehst, wie sich direkt vor deinen Augen Nebel bildet oder sich eine Tür von selbst öffnet. Das entschädigt dich für die lange Zeit, in der du immer nur auf das gleiche Stück Wand gestarrt hast.«
    Wie um Bos Worte zu bestätigen, tönte plötzlich ein leises, unglaublich tiefes, grunzendes Geräusch aus den Lautsprechern des Monitors, der immer noch die Aufnahmen des Kinderzimmers zeigte. Die Haare in Sams Nacken stellten sich auf.
    »Bo«, flüsterte er. »Hör mal.«
    Bo stoppte sein eigenes Band und beugte sich zu ihm. Das Grunzen erklang erneut, gefolgt von einem eigenartigen, an- und abschwellenden Zischen, das so leise war, dass Sam sich fragte, ob er es wirklich gehört hatte.
    Bos Augen weiteten sich. »Wow.«
    »Kann man wohl sagen.«
    Sie warteten noch einige Minuten länger, aber sonst tat sich nichts. Sam machte die Aufnahme aus und

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