Sehnsucht
seinem Gesicht ablesen, dass sie sich verstanden hatten. »Ich glaube, ich hol mir ein Bier und setz mich für eine Weile auf die Veranda. Kommst du mit?«
»Klar, gerne.« Sam folgte Andre zur Tür hinaus. »Ach, was ist denn nun mit der Videokassette? Ich werde sie wohl um sechs Uhr auswechseln, wenn du mir sagst, was ich tun muss.«
»Ist nicht schwer. Einfach die alte Kassette rausnehmen, eine neue reinstecken und anschalten. Dann stellst du dich vor die Kamera und sagst deinen Namen, das Datum und die Uhrzeit. Das war's.«
»Zeigt die Kamera nicht Datum und Zeit an?«
»Schon, aber Geister haben manchmal die Angewohnheit, die Technik durcheinanderzubringen.« Andre grinste über die Schulter. »Wenn du das erste Mal eine verrücktspielende Anzeige hast, lernst du sehr schnell, dich nicht allein darauf zu verlassen.«
»Kann ich mir vorstellen.« Sam lachte, als die wiederkehrende Aufregung augenblicklich seine Stimmung hob. »Weißt du, mir ist gerade klar geworden, dass der Job gefährlich werden könnte, aber ich liebe ihn schon jetzt.«
»Amen, Bruder! Das wird eine verdammt aufregende Woche.«
Sam lächelte zustimmend, als sie zusammen die Treppe hinuntergingen.
Kapitel 5
Nach dem Abendessen steuerten Sam, Andre und Amy den kleinen Salon im ersten Stock an. Amy schob die Flügeltüren auf, sodass die warme Abendluft hereinströmte. In der Dämmerung summten die Lieder der Insekten und Ochsenfrösche und irgendwo in der Nähe rief eine Eule. Ein Hauch von Geißblatt wehte mit der feuchten Brise herein.
Es dauerte nicht lange, bis sich der Rest der Gruppe einer nach dem anderen anschloss. Eine Unterhaltung kam leicht in Gang, unterstützt durch die Flasche Pinot Noir, die Bo mitgebracht hatte. Sogar Cecile legte ihr hochnäsiges Verhalten lange genug ab, um sich einzubringen und mit den anderen zu lachen.
Die Stimmung war freundschaftlich und gelöst und Sam konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal so entspannt gefühlt hatte. Je später der Abend wurde, desto mehr spürte Sam die intensive Anziehung, die Bo auf ihn ausübte.
Irgendwann saßen sie auf dem gemütlichen Zweisitzersofa dicht nebeneinander, in ein angeregtes Gespräch vertieft. Sam mochte Bos spitzen, etwas verdrehten Sinn für Humor, die Art, wie er seinen ganzen Körper einsetzte, um eine Geschichte zu erzählen, die ungeteilte Aufmerksamkeit, die er Sam schenkte, wenn er etwas sagte. Er mochte einfach alles an diesem Mann.
Auf der einen Seite war es beruhigend, zu wissen, dass er offensichtlich auch tiefere Gefühle als reine körperliche Anziehung für jemanden empfinden konnte. Schon öfter hatte er sich während seiner kurzen, emotionslosen Affären gefragt, ob er dazu überhaupt in der Lage war. Andererseits konnte es gefährlich werden, Gefühle für einen verheirateten Mann zu hegen.
Doch da waren auch die häufigen Blicke, die Bo ihm zuwarf. Blicke, die Sam in mehr als einer Bar oder einem schäbigen Motel gesehen hatte und die ihn dazu verleiten wollten, das Risiko für sie beide zu ignorieren und es einfach geschehen zu lassen.
Gegen halb zwölf waren die anderen alle in ihren Betten verschwunden. Amys missbilligendes Stirnrunzeln hatte allerdings genauso wenig Eindruck hinterlassen wie die Warnung in ihrem Tonfall, als sie ihnen eine gute Nacht gewünscht hatte.
Beides streifte nur kurz Sams Bewusstsein, bevor er alles weit von sich schob. So saßen Sam und Bo schließlich Knie an Knie auf dem Sofa und erzählten sich abwechselnd von absonderlichen Dingen, die sie schon erlebt hatten.
»Da war ich also«, sagte Sam und trank den letzten Schluck Wein direkt aus der Flasche. »Rannte um zwei Uhr nachts über den Friedhof und schrie wie am Spieß. Die Cops fanden das leider gar nicht lustig. Meine Eltern auch nicht, als sie mich von der Polizeistation abholen mussten.«
»Das glaub ich.« Bo lachte.
»Aber ich kann's dir nicht verdenken. War das wirklich der Geist deines Großvaters, den du da gesehen hast?«
»Wer weiß? Ich war jedenfalls felsenfest davon überzeugt. Der alte Kauz hat mir schon zu seinen Lebzeiten eine Scheißangst eingejagt und das Geisterdasein hat das nicht wesentlich verbessert.«
Sam stellte die leere Weinflasche zurück auf den Tisch und streckte sich beim Zurücklehen. »Ich hätte schwören können, dass ich ihn brüllen gehört habe, genauso wie er es getan hat, als ich noch klein war. Und ich weiß genau, dass ich einen Schlag gespürt habe.«
»Was war mit deinen
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