Sehnsucht der Unschuldigen
Hitze konnte es nicht liegen. Ihr Zimmer hier in Sweetwater war wirklich angenehm kühl. Und daß sie fremde Zimmer oder Betten nicht gewöhnt sei, konnte sie auch nicht behaupten, zumal dieses hier den Vergleich mit den besten Hotels in Europa wahrlich nicht zu scheuen brauchte. Das Bett mit seinem zarten Bezug und den Spitzenkissen wirkte sogar ausgesprochen feminin auf sie. Wenn das sie nicht zum Schlafen verführte, dann konnte sie es immer noch auf der massiven Bettcouch mit dem hellblauen Samtbezug versuchen.
Die mit dezenten Wasserfarben besprenkelten blaßrosa Wände strahlten eine freundliche Atmosphäre aus. Frisch aus dem Garten gepflückte Blumen sorgten für einen angenehm süßen Duft. Auf einer zierlichen Frisierkommode standen elegante, im Lampenschein fröhlich glitzernde, antike Fläschchen. Ein mit blauen Steinen eingefasster Kamin versprach behagliche Wärme an kalten Winterabenden. Caroline konnte sich gut vorstellen, wie sie sich unter das Federbett kuschelte und den prasselnden Flammen zusah. Mit Tucker zusammen!
Es kam ihr ungerecht vor, daß sie sich hier in dieser friedlichen Idylle an ihn schmiegen konnte, wo doch um sie herum soviel Angst und Trauer herrschten. Wieder war eine Frau ermordet worden und lag in der kalten Leichenhalle, während ihre Familie um sie weinte. Es konnte nicht richtig sein, daß sie angesichts des Todes den Himmel voller Geigen sah. Aber sie war nun einmal verliebt.
Seufzend setzte sich Caroline auf das Fensterbrett, von wo sie in den Garten hinuntersehen konnte, der vom Mondlicht durchflutet war. Es war windstill. Die silbern schimmernden Blumen rührten sich nicht – es herrschte ein Hauch von Magie.
Weiter hinten glitzerte etwas – der Teich. Caroline war froh, daß sie die Trauerweiden von hier nicht sehen konnte. Wenn sie auf diese Weise die Schmerzen vor sich verbergen konnte, so wollte sie es heute nacht gerne tun. Im Moment war sie dankbar für dieses herrliche Stück Natur unter dem Vollmond.
Und sie war verliebt.
Man konnte sich weder den Ort noch die Zeit aussuchen, zu der man sein Herz verlor. Inzwischen war Caroline zu der Auffassung gelangt, daß das gleiche auch für den Menschen galt, der es einem raubte. Hätte sie die Wahl gehabt, dann hätte sie sich nicht für das Hier und Heute entschieden. Und der Glückliche hätte auch nicht Tucker geheißen.
Eigentlich war es ein Fehler, sich gerade jetzt zu verlieben, wo sie erst allmählich ihre eigenen Bedürfnisse und die in ihr schlummernden Möglichkeiten erkannte. Sie lernte doch noch, auf den eigenen Füßen zu stehen und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ausgerechnet jetzt kam inmitten einer Atmosphäre der Angst und Gewalt eine Liebesbeziehung dazwischen, der nie und nimmer Dauer beschieden sein konnte.
Sie mußte schließlich in wenigen Wochen wieder abreisen.
Wie lächerlich es von ihr war, sich in einen Frauenhelden zu verlieben, einen so erfrischend faulen Frauenhelden! Einen Mordverdächtigen! Einen Taugenichts, der Gedichte rezitierte!
Hatte sie sich nicht eingeredet, er sei nichts anderes als eine Westentaschenausgabe von Luis, nur mit einem Südstaatenakzent? Und daß sie anscheinend immer auf dieselbe Sorte von Männern hereinfiel, um sich danach mit Selbstvorwürfen zu zerfleischen?
Doch so sehr sie es auch wollte, sie konnte an all das nicht mehr glauben. In Tucker steckte tausendmal mehr, mehr sogar als er sich selbst eingestand. Sie hatte es an seiner Fürsorglichkeit erkannt, mit der er sich Cys annahm, an seiner Liebe zu seinen Geschwistern, an der Gelassenheit, mit der er Sweetwater und ein gutes Dutzend Betriebe führte, und an seiner Bescheidenheit, denn er verlangte weder Dank, noch ließ er andere seine Macht spüren.
Tucker ging seinen Weg. Er tat, was richtig war, und tat es, ohne lange darüber nachzudenken. Und vor allem schürte er dabei keine unnötigen Ängste vor dem Morgen. Von Tucker ging dieselbe Ruhe aus wie von seinen Nickerchen auf der schattigen Veranda, den Anekdötchen, die er in seinem trägen Südstaatentonfall erzählte, und den kalten Bierchen, die er sich an schwülen Abenden genehmigte.
Caroline lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe. All das, was Tucker verkörperte, hatte sie dringend nötig. Das Leben war nun mal lebenswert, und jeder Mensch sollte mit einem Lächeln hindurchschreiten. Sie brauchte gerade jetzt ein Lächeln. Sie brauchte diese heitere Gelassenheit, die er so mühelos verbreitete. Sie brauchte ihn.
Wozu saß
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