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Sehnsucht der Unschuldigen

Sehnsucht der Unschuldigen

Titel: Sehnsucht der Unschuldigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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bis er endlich die Augen aufschlug.
    »Bist einfach umgekippt«, erklärte sie und hielt ihm ein Glas Wasser an die Lippen. »Wenn Tucker dich nicht rechtzeitig aufgefangen hätte, wärst du voll mit dem Kopf auf die Veranda gekracht. So schnell habe ich den Kerl seit seiner Kindheit nicht mehr erlebt, als er die Fensterscheibe eingeschmissen hatte und sein Daddy ihn verprügeln wollte.«
    Hinter dem Sofa stand Lulu. Langsam beugte sie sich nun über ihn. Cy fand, daß sie nach Flieder duftete.
    »Ich wollte dich gar nicht so erschrecken, mein Kleiner.«
    »Nein, nein, Ma’am. Ich… hatte wohl ein bißchen zuviel Sonne abgekriegt.«
    Tucker, dem der ängstliche Tonfall nicht entging, trat nun ebenfalls ans Sofa. »Laßt doch das Trara. In diesem Haus hat es schon ganz andere Sachen gegeben.«
    Delia wollte ihm schon giftig ins Gesicht springen, aber ein warnendes Glimmern in Tuckers Augen hielt sie zurück. Sie verstand auf der Stelle. »Kannst du dich um ihn kümmern, Tucker? Ich habe noch einiges zu erledigen. Im roten Zimmer gehören die Vorhänge dringend ausgewechselt. Du hast doch Geschmack, Lulu. Könntest du mich vielleicht beraten?«
    Als die zwei Frauen verschwunden waren, setzte Tucker sich an den Kaffeetisch. »Weißt du, meine Tante Lulu ist ein bißchen exzentrisch, aber ein ganz lieber Mensch. Zur Zeit bildet sie sich eben ein, daß Indianerblut in ihren Adern fließt.«
    »Jawohl, Sir.« Cy wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. Er stand mit etwas wackeligen Knien auf. »Ich muß jetzt aber heim.«
    Tucker musterte erstaunt das kreidebleiche Gesicht.
    Der Junge hatte immerhin zehn Meilen zu Fuß zurückgelegt.
    »Moment mal, du wolltest doch wegen Arbeit nachfragen.
    Weißt du was, jetzt kommst du erst mal mit in die Küche, und wir machen uns ein anständiges Frühstück. Dabei unterhalten wir uns in aller Ruhe.«
    »Das wäre riesig nett von Ihnen, Sir.« Auf dem Weg in die Küche gab Cy sich alle Mühe, nicht stehenzubleiben und mit offenem Mund zu gaffen. So etwas Prächtiges wie die Gemälde im Flur hatte er im ganzen Leben noch nicht gesehen. Die sonnendurchflutete und trotzdem kühle Küche mit ihren glänzenden weißen Kacheln und der blaßrosa Arbeitszeile überwältige Cy nicht minder. Und kaum bekam er den Inhalt des zum Bersten gefüllten Kühlschranks zu sehen, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Die Augen fielen ihm schier aus dem Kopf, als Tucker eine Platte voller Schinken herausnahm.
    »Setz dich schon mal. Ich brate das kurz an.«
    Cy hätte die Platte Tucker am liebsten aus der Hand gerissen und alles kalt verschlungen, aber er nahm gehorsam Platz.
    »Wir müßten auch noch irgendwo Kekse haben. Was ist dir lieber: Kaffee oder Cola?«
    »Eine Cola wäre toll. Danke, Mr. Longstreet.«
    »Du kannst mich ruhig Tucker nennen, nachdem du schon bei mir umgekippt bist.« Tucker öffnete eine große Flasche und stellte sie vor Cy auf den Tisch.
    Ehe der Schinken in der Bratpfanne brutzelte, hatte Cy bereits die halbe Flasche geleert. Wer so durstig war, hatte sicher auch einen Mordshunger. Tucker schlug ein paar Eier mehr in die Pfanne. Sie brannten am Rand etwas an, und in der Mitte zerlief der Dotter, aber Cys Augen leuchteten dankbar auf.
    Beim Essen musterte Tucker den Jungen aufmerksam.
    Irgendwie erinnerte er ihn an ein Gemälde des Apostels Johannes in der Familienbibel. Beide wirkten jung und zerbrechlich, aber aus ihnen leuchtete ein inneres Feuer. Der Junge freilich war nicht nur dürr wie so viele Kameraden in seinem Alter, er wirkte regelrecht ausgemergelt. Die Ellbogen und Knie standen hervor, und die Arme und Beine waren kaum mehr als Stecken. Was stellte der alte Dreckskerl mit seinem Sohn nur an? Wollte er ihn verhungern lassen?
    Geduldig wartete Tucker, bis Cy den Teller mit dem Brot ausgewischt hatte. »Du suchst also Arbeit«, setzte er dann an.
    »Schwebt dir etwas Bestimmtes vor?«
    »Jawohl, Sir. Sie suchen doch immer Leute für die Ernte.«
    »Darum kümmert sich normalerweise Lucius, aber der ist für ein paar Tage nach Jackson gefahren.«
    Cy sah alle seine Felle davonschwimmen. War er den ganzen Weg hierhergelaufen, um unverrichteter Dinge wieder heimgeschickt zu werden? Er riß seinen ganzen Mut zusammen.
    »Aber Sie können mir doch sagen, ob Sie Leute brauchen?«
    Tucker suchte in der Tat Arbeitskräfte, doch wie sollte er dem hohlwangigen Jungen nur beibringen, daß er viel zu schwach für die harte Arbeit auf den Feldern war? Und ein Hatinger, der

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