Sehnsucht FC Bayern
endlich auch welche mit Führerschein und Auto bescherten. Damit wurden wir nun wirklich mobil. Jetzt konnten die Fahrten nicht mehr abgedreht genug sein. Das Maximum an Belastbarkeit für Sitzfleisch und Nerven wurden unter strenger Kostenkontrolle ausgelotet. Frühmorgens Abfahrt zum Heimspiel nach München und nach dem Spiel direkt wieder zurück. Knapp 1.300 Kilometer. Zwölf Stunden Ab- und Anreise für 90 Minuten FC Bayern. Nicht nur, dass wir in einem alten VW-Golf fuhren, nein, wir quetschten uns dort auch noch zu fünft hinein. Die beiden Plätze vorne waren dermaßen heiß begehrt, dass solidarisch an jeder zweiten Raststätte rotationsmäßig durchgewechselt wurde. Je ein Bayern-Schal links und rechts im Fensterrahmen eingeklemmt, fertig war die Dekoration. Verkehrsteilnehmer auf der A3 – wir kommen!
An Bord die ewig gleichen Diskussionen. Darf geraucht werden? Welche Musik wird gehört? Was ist der beste Rastplatz? Wer hält den Fahrer wach? Waren das gerade Schalker, die man überholt hat? Wer hat gestern etwa Knoblauch gegessen? Und so weiter und so fort. So eine Fahrt zieht sich. Zumindest so lange, bis die ersten Vorboten auf das bevorstehende Spiel wahrgenommen werden. Das fängt mit dem Entdecken der ersten Fanbusse (»Alles nur Kutten!«) an, geht über die ersten Verkaufsständer mit Boulevardzeitungen aus München und endet beim weithin sichtbaren Anblick des Olympiaturms am Horizont. Dort lag Mekka!
Die Heimreise ist ungleich anstrengender. Statt der Aufgeregtheit vor dem Spiel herrscht jetzt eine elende Müdigkeit, gegen die nur schwer anzukommen ist. Der McDonald’s an der A9 bei Gre ding bot wenigstens eine kleine Abwechslung und fungierte alle zwei Wochen als kulinarischer Durchlauferhitzer für die Bayern-Fanbusse aus Nordbayern. Für uns jedes mal ein herrlich chaotisches Bild. So muss Wallensteins Heerlager im Dreißigjährigen Krieg ausgesehen haben!
Was die Entdeckung der Damenwelt angeht, so bezieht sich das nicht nur auf die Fußballerinnen des FC Bayern. Seit einem Jahr war ich in festen Händen und merkte, dass es neben Schule und Fußball mit Jeanette tatsächlich noch eine lohnende Parallelwelt gab. Bei nur etwa zehn Bayern-Spielen in der Saison hielt sich das Ausmaß der Kritik von Jeanette jedoch noch in Grenzen. Allerdings nahm die Arbeit mit dem Fanclub zu. Den erwähnten Zeitungsporträts folgte die Einladung ins Funkhaus des Westdeutschen Rundfunks. In einem achtminütigen Radiointerview für WDR 2 ritt die unbedarfte Moderation so richtig auf dem Thema »Gewalt unter Fußballfans« herum. Ich hatte alle Mühe, einigermaßen die Balance zu halten und nicht selber in diese Ecke gedrängt zu werden. Immerhin zeigte sich der WDR als Anstalt des Öffentlichen Rechts großzügig und zahlte eine erstaunlich hohe Aufwandsentschädigung.
Für unseren Fanclub ging der Schuss allerdings nach hinten los. Bayern-Fanclubs aus Nordrhein-Westfalen, die sich nicht gleichermaßen eindeutig gegen Gewalt aussprachen, nahmen uns den Radioauftritt übel. Innerhalb dieser Fanszene hatten wir damit ab sofort ein Imageproblem. Sich ein wenig martialisch und gewaltbereit zu geben, galt für nicht wenige Fanclubs der damaligen Zeit als schick. Zeitgleich erschien in Mannheim das erste bundesweit vertriebene Magazin über Fußballfans, der Fan-Treff. Anfangs noch als harmloses Blättchen im Stile einer Schülerzeitung entwickelte es sich mit der Zeit mehr und mehr zur Plattform für blumig umschriebene und oftmals stark übertriebene Schlachten-Schilderungen zwischen rivalisierenden Fanclubs. Es gehörte anfangs durchaus zum guten Ton, in dieser Publikation vertreten zu sein. Das galt auch für uns. Später, als sich mit der unkommentierten Veröffentlichung von gewaltverherrlichenden Berichten zunehmend Geld verdienen ließ, wandelte sich das Blättchen konzeptionell. »Fair Fan«, so das einstige Motto, hatte ausgedient. Anfang der neunziger Jahre wurde die Publikation eingestellt. Wahrlich kein Verlust für die deutsche Presselandschaft.
Unser Fanclub hatte mittlerweile Kontakte zu einem angegrauten, aber nicht minder-ambitionierten Bayern-Fan aus Andernach geknüpft, der sich unter dem Deckmäntelchen eines Pseudo-Fanclubs auf Busreisen zu Bayern-Spielen spezialisiert hatte. Seine Mitreise-Angebote klangen verlockend, und so nutzten wir alsbald die Möglichkeit einer kombinierten Heimspiel-/Oktoberfest-Fahrt. Ich gewann auf der Hinfahrt ein merkwürdig konzipiertes Bayern-Quiz und sollte
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