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Sehnsucht FC Bayern

Sehnsucht FC Bayern

Titel: Sehnsucht FC Bayern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Radtke
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launiger Rheinländer, Anhänger des 1. FC Köln, ehemaliger Schreiberling der Boulevardzeitung Express und mit FDP-Beziehungen als Studienrat mittlerweile an einer Höheren Handelsschule tätig. Das sind Karrieren! Die wenigsten Schüler nahmen ihn für voll, aber irgendwie mochte ich seine kölsche Unvollkommenheit. Dann der besagte Sportunterricht: »Na, Radtke, morgen beim Europapokal-Endspiel in Wien?«
    »Aber selbstverständlich!«
    »Toller Witz, gute Antwort, ha ha ha …«
    Das war nicht gelogen, denn mein Plan stand längst fest. Ich schrieb mir am Nachmittag eine Entschuldigung, in der ich freimütig den Grund meiner Abwesenheit einräumte, und brachte den Brief meinem Banknachbarn vorbei. Er sollte ihm das Schreiben am nächsten Morgen vor Unterrichtsbeginn aushändigen. Und das tat er auch …
    »Sehr geehrter Herr Dr. H……,
    wenn Sie diese Zeilen lesen, bin ich bereits auf dem Weg nach Wien. Bekanntlich bestreitet der FC Bayern München dort das Endspiel um den Europapokal der Landesmeister. Ich bitte Sie, meine Abwesenheit vom Unterricht zu entschuldigen. Einen anderen, fadenscheinigen Grund wollte ich Ihnen nicht nennen. Sie hätten ihn mir sowieso nicht geglaubt. Mit Rücksicht auf Ihre eigene Fußball-Leidenschaft appelliere ich jedoch an Ihr Verständnis.
    Mit freundlichen Grüßen«
    Das war knapp. Das war ehrlich. Und es gab einen mordsmäßigen Ärger. Mein Entschuldigungsschreiben machte im Lehrerzimmer die Runde und war wenige Tage später sogar Thema auf der Schulkonferenz. Nach meiner Rückkehr aus Wien bekam ich Anrufe einiger Klassenkameraden. Unser Lehrer musste getobt haben. Ich konnte mir am ersten Schultag nach dem Endspiel auch tatsächlich einiges anhören. Erst alleine, dann in abgeschwächter Form vor versammelter Klasse. Dass mein Alleingang nicht weitere Konsequenzen nach sich zog, lag am fortgeschrittenen Schuljahr, das im Mai 1987 bereits in die Endphase ging. Nach anschließendem Bestehen der Prüfungen zur Fachhochschulreife nahm mich mein Klassenlehrer im Flur beiseite: »Radtke, du bist schon ’ne komische Type. Aber das hätte ich genauso gemacht.«
    Das mit dem De-facto-Schulschwänzen hatte ja noch mal so gerade eben geklappt. Ganz anders sah es mit dem FC Bayern in Wien aus. Hochfavorisiert ging der FCB gegen den FC Porto ins Endspiel und dort auch gleich durch einen Kögl-Kopfball in Führung. Ich war außer mir. Sollte es das sein? Die persönliche Wiedergutmachung des verheulten Fernsehabends vom Endspiel gegen Aston Villa 1982? Mittlerweile waren fünf Jahre vergangen. Nun war ich selber im Stadion. Das Ende ist bekannt. Der Doppelschlag der Portugiesen in der 78. und 80. Minute, eingeleitet durch das berühmte Hackentor von Madjer, riss bei mir wieder alte Wunden auf, die ich längst verheilt glaubte. Ich fühlte mich nur noch leer. Gerade so, als ob mehrere Vampire gleichzeitig an mir gesaugt hätten. Das sind Momente, bei denen einem alles, aber auch wirklich alles egal ist. Selbstachtung, Anstand und Respekt waren bis zur Abfahrt unseres Busses praktisch nicht existent. Ich pöbelte verbal gegenüber portugiesischen Fans, pinkelte gegen deren Busse und wurde schlichtweg gegen alles und jeden aggressiv. Ich konnte von Glück sagen, dass das keine Konsequenzen hatte. Nach knapp 900 Kilometern Busfahrt und durchwachter Nacht ist das vielleicht eine Erklärung, aber natürlich längst keine Entschuldigung. Wenn eine solche Mischung aus Wut und Trauer kein richtiges Ventil findet, ist das eine merkwürdige Situation.
    Auf der Rückfahrt war ich um jede Stunde dankbar, die ich schlafen konnte. Wer schläft, muss nicht denken. Ein Grübeln gibt es dann nicht. Gegen Mittag des folgenden Tages war ich wieder in Köln. Ich war nur noch abgekämpft und sah auch entsprechend fertig aus. Noch bevor ich nach Hause fuhr, führte mich mein erster Weg in eine Kölner Klink. Meine Mutter lag dort seit ein paar Tagen. Viel zu sagen hatten wir uns beide bei diesem Besuch nicht. Keiner beneidete den anderen, und ich fand es fair von ihr, dass es kein gegenseitiges Aufrechnen des persönlichen Leids gegeben hat. Ob sie mein Leid wirklich verstand, war ohnehin fraglich. Ich verstand mich ja schließlich selbst nicht mehr.
    Zwei Tage später ging es jedoch schon wieder weiter. Meine Mutter befand sich auf dem Weg der Besserung und ich mich auf dem Weg zum Bundesligaspiel nach Homburg. Da wurde nicht lange überlegt, es wurde einfach gefahren. Diesmal wenigstens mit dem Pkw. Ein

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