Sehnsucht FC Bayern
als Gewinn vor dem Anpfiff im Olympiastadion einen Ehrenpreis an Jean-Marie Pfaff überreichen dürfen. Großes Raunen im gesamten Bus. Ich weiß heute nicht mehr wo, wann und wie unser Reiseveranstalter die kleine Zeremonie im Vorfeld mit der Bayern-Geschäftsstelle abgestimmt hatte. Seine Ankündigung war jedenfalls sehr vollmundig. Mit irgendeinem Bestätigungsschreiben in der Hand verschaffte er uns beiden über die Haupttribüne und an gutmütigen Ordnern vorbei Zutritt zum Stadion-Innenraum. Da standen wir nun mutterseelenallein auf der Tartanbahn des Olympiastadions, und keiner wusste Bescheid. Am allerwenigsten Jean-Marie Pfaff. Der Bayern-Torwart wurde schließlich auf dem Weg vom Warmmachen zurück in die Kabine von uns abgefangen. Wir murmelten irgendwas von »Ehrenpreis« und »Dank der Fans« und übergaben den kleinen Silberpokal. Pfaff, und das muss man ihm lassen, war und ist in solchen Situationen zweihundertprozentiger Profi. Er nahm den Pokal, lief in Richtung Südkurve und winkte mehrfach in den Bayern-Block. Einige Bayern-Fans winkten irritiert zurück. Aber in Wirklichkeit wusste niemand, um was es da eigentlich ging. Eine absonderliche Situation. Aber dennoch ein schöner Beleg dafür, wie wenig durchgestylt ein Bundesligaspiel in den achtziger Jahren organisatorisch war. Ich habe versucht, mir diese Szene 20 Jahre später vorzustellen, wie ich 15 Minuten vor Anpfiff in der Allianz-Arena Oliver Kahn als ahnungslosen Preisträger auf dem Weg zurück in die Kabine aufhalte und unbemerkt von Stephan Lehmann und dem gesamten Stadion dazu überrede, mit so einem albernen Pokal in der Hand wieder kehrtzumachen und sich bei der schweigenden Südtribüne zu bedanken. Die Fantasie bringe ich nicht auf. Schade eigentlich. Für mich jedoch war es ein weiterer, kleiner Meilenstein in meiner Fan-Karriere. Und nur das zählte.
Wie teuer erkauft dieser Meilenstein war, erfuhr ich jedoch erst in der Nacht. Busfahrer und Reiseveranstalter verabredeten, der eine nüchtern und auf hochdeutsch, der andere angeheitert und auf pfälzisch, gemeinsam den Abfahrtsort und -zeitpunkt nach dem Oktoberfestbesuch. Um es kurz zu machen: Sie redeten aneinander vorbei. Dem Busfahrer, der eine frühere Abfahrtszeit im Kopf hatte, wurde die Warterei zu doof, und er fuhr kurzerhand allein zurück nach Andernach! Die nachfolgenden Stunden habe ich weitestgehend aus meinem Gedächtnis gelöscht. Sie waren sehr unschön. 40 teils erheblich angetrunkene Fans standen verwirrt im Dunkeln der Theresienwiese und redeten vehement auf einen überforderten Reiseleiter ein. Das Gepäck, die Jacken, alles war im Bus und damit weg. Kaum einer hatte noch Geld, und alle wollten schnellstmöglich nach Hause. Es half alles nichts. Geschlossen ging es mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof, und von dort aus, meist ohne Fahrschein, fuhr die Gruppe nachts mit der Bundesbahn zurück nach Andernach und wir dann alleine zurück bis Köln.
Mehrfache Entschuldigungen und nachträgliche Unschuldsbeteuerungen veranlassten uns, dem Reiseveranstalter mit einer Busfahrt zum Endspiel im Europapokal der Landesmeister eine neue Chance zu geben. Er hatte Eintrittskarten und ein günstiges Angebot zur Mitfahrt. Das wollten wir uns nicht entgehen lassen und sagten unsere Teilnahme zu viert zu. Mein Problem war nur: Ich war noch Schüler. Und das Spiel lag nun wirklich nicht in den Ferien. Mit 19 Jahren hätte ich mir in der 12. Klasse zwar eine Entschuldigung selber ausstellen können, aber was schreibt man da hinein? Als Bayern-Fan war ich in der Klasse und auch einigen meiner Lehrer bestens bekannt. Eine der üblichen Magen-Darm-Geschichten hätte man mir nie geglaubt. Hinzu kam, dass ich als Schülersprecher eigentlich einen recht guten Draht zum Lehrerkollegium hatte. Eine vertrackte Situation. Ich wusste nicht weiter. Ich wusste nur: Ich will zum Endspiel!
Ich beriet mich mit einem gewählten Vertrauenslehrer. So ein Problem war ihm allerdings noch nie untergekommen. Unterrichtschwänzen wegen Fußball? Er mochte mir verständlicherweise nicht weiterhelfen. Das ging selbst ihm zu weit. Es klingt vielleicht komisch, aber irgendwie war ich auch zu stolz auf diese abgedrehte Tour, als dass ich sie verheimlichen wollte. Also versuchte ich es mit entwaffnender Ehrlichkeit. Es kam nur auf das richtige Timing an! Ich ging in die Offensive. Am Tag vor dem Endspiel hatte ich Sportunterricht bei meinem Klassenlehrer, der mich auch in weiteren Fächern unterrichtete. Ein
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