Sehnsucht FC Bayern
die gleiche Frage: Was macht Stuttgart? Als fälschlicherweise das 3:0 für die Schwaben ekstatisch die Runde machte, setzte sich der Stadionsprecher im Olympiastadion über UEFA-Statuten hinweg und tat verbotenerweise das, was heute selbstverständlich ist: Er ließ den 2:0-Zwischenstand auf den Anzeigetafeln aufleuchten. Als dann, erneut auf der Anzeigetafel, der 2:1-Anschlusstreffer der Bremer bekanntgegeben wurde, herrschte schlagartig lähmendes Entsetzen. Sollte das die Wende werden?
Minuten zogen sich zu Ewigkeiten. Um 17.18 Uhr war dann endlich auch in Stuttgart Schluss. Der FC Bayern, der die ganze Saison kein einziges Mal Tabellenführer gewesen war, hatte das Blatt noch wenden können. Und ich war dabei! Ich hatte Tränen in den Augen und brachte ob des Unfassbaren kein Wort über die Lippen.
Erstmals erlebte ich den ganzen üblichen Trubel Münchens an solchen Tagen. Heftigste Umarmungen unter wildfremden Menschen, friedlich-fröhlich singende Horden in den U-Bahnhöfen, die sich am Marienplatz aus dem Untergrund quetschten, und schließlich die üblichen, für mich aber neuen Sprüche vom Rathausbalkon hinunter auf die rot-weiße Menge. Ich habe jedes Ritual aufgesogen, bis um Mitternacht einer der Mitreisenden dann doch mal zur Rückfahrt mahnte. Dabei wollten wir eigentlich gar nicht mehr weg. Seitdem feststand, dass wir heute in München sein würden, hatten wir uns mit der Notwendigkeit einer Rückreise, geschweige denn mit den Planungen, nicht einmal ansatzweise beschäftigt.
Nun bekamen wir die Quittung. Mit dem Bummelzug ging es nur bis Stuttgart. Dort angekommen, mussten zwei Stunden auf den Anschlusszug nach Köln gewartet werden. Die Zeit überbrückten wir diesmal jedoch nicht mit Experimenten an Bahnhof-Schließfächern, sondern legten uns, ohne zu fragen, einfach in die Ecke der Lobby vom Bahnhofshotel. In völliger Übermüdung entwickelt man ein erstaunlich hohes Maß an Gleichgültigkeit. Protest vom Nachtportier gab es nicht. Entweder hatte er Mitleid mit uns, oder aber er traute sich einfach nicht, mit vier Fußballfans nächtens zu diskutieren. Als die Sonne schon unverschämt hoch über Köln stand, kehrten wir wieder heim. Zwar völlig fertig, aber als Deutscher Meister.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
1986/87
G ESCHWÄNZT !
Die Sommerpause ist etwas Merkwürdiges. Es scheint, als würde die Zeit stillstehen. Zwar gibt es alle zwei Jahre in irgendeinem, oft weit entfernten Land ein großes Turnier. Aber auch das endet nach wenigen Wochen und füllt das kalendarische Vakuum eines Fußballfans nur bedingt. Ich hatte mir wiederholt Gedanken über Lebensphasen gemacht, die zeitlich einen konkreten Anfang und ein klares Ende hatten. Für die meisten begrenzt ja der Kalender einen solchen Lebensabschnitt. Für Schüler ist es das Schuljahr. Für Fußballfans ist es die Saison. Ich war Schüler der 11. Klasse und gleichzeitig Fußballfan, hatte also mit dem gregorianischen Kalender unserer Zeit gleich doppelt nichts am Hut! Kein Wunder, dass mein Silvester immer auf den Tag der Zeugnisausgabe oder den Abpfiff am letzten Spieltag fiel. Was ändert sich schon groß am 1. Januar, außer dass man sich die ersten Tage dauernd mit dem Jahr vertut? Mein Neujahr fiel demzufolge immer auf den ersten Schultag nach der Sommerpause oder den 1. Spieltag der Bundesliga. Da traten für mich die wirklich wichtigen Veränderungen des Lebens ein. Und dazwischen? Das Vakuum!
Als Bayern-Fan bot sich wenigstens für einen Nachmittag eine Ersatzdroge – Frauenfußball. Hauptsache FC Bayern! Bergisch Gladbach hat für seine Größe von über 100.000 Einwohnern relativ wenig zu bieten, was es als Stadt bundesweit wirklich bekannt machen konnte. Später bekannte sich immerhin das Model Heidi Klum des Öfteren zu ihrer Geburtsstadt. Aber was verbindet man sonst mit Bergisch Gladbach? 1986 gehörte dazu jedoch bereits seit vielen Jahren das Frauenfußball-Team der SSG 09, das mehrfach in Folge Deutscher Meister wurde und sich regelmäßig mit dem FC Bayern maß. Für uns als Bayern-Fans immerhin ein willkommener Termin in einer sonst tristen Zeit. Die Bayern gewannen mit 2:0, und wir merkten, dass wir als Bayern-Fans selbst beim Frauenfußball mit einer gewissen Antipathie zu rechnen hatten.
Immerhin wurde die Lokalpresse durch unsere Zaunfahnen auf den Fanclub aufmerksam. Zufrieden verzeichneten wir zwei Porträts in den Zeitungen, die uns neue Mitglieder und
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