Sehnsucht FC Bayern
Öfteren nahe am Herzinfarkt wähnte, ohne wirklich zu wissen, wie sich so etwas anfühlt. Beim Elfmeterpfiff für Bremen in der 89. Minute flippten die Gäste der Kneipe völlig aus. Noch stand es 0:0. Würden die Bremer diesen Elfmeter verwandeln, dann wären sie Deutscher Meister. Endlich hatte man den FC Bayern am Boden. Das war fast gewiss. Ich fühlte mich in diesem Moment trotz Anwesenheit von drei Fanclub-Mitgliedern sehr allein. Die eigene Hilflosigkeit vor dem Bildschirm, die fragwürdige Entscheidung des Elfmeterpfiffs und das urplötzliche Bewusstsein, dass die Saison in wenigen Sekunden entschieden sein wird, taten ihr Übriges. Mir war klar, was jetzt passieren würde. Ich zweifelte keinen Augenblick über den weiteren Verlauf der Geschehnisse. In der Bundesliga werden ziemlich genau 75 Prozent aller Elfmeter verwandelt. Aber es kam noch unheilvoller, denn mit Michael Kutzop trat bei Bremen ein Elfmeterschütze an, der bisher bei all seinen Strafstößen auch getroffen hatte. Der bis heute berühmtesten Elfmeterentscheidung der Bundesliga folgte der bis heute berühmteste Fehlschuss. Kutzop lief an, Jean-Marie Pfaff war schon verladen und der Ball – er klatschte an den Pfosten. Die Welt schien für zwei Sekunden stillzustehen.
Die Entscheidung wurde also auf den letzten Spieltag verschoben, der bereits vier Tage später stattfand. Noch am selben Abend beschlossen wir, uns das Saisonfinale nicht entgehen zu lassen. So richtig freuen konnte ich mich nicht. Zu unwahrscheinlich war, dass sich die Bremer die Sache noch aus der Hand nehmen lassen würden. An der Ausgangssituation hatte sich nichts verändert. Bremen hatte (nach der Zwei-Punkte-Regel) immer noch zwei Punkte Vorsprung, während der FC Bayern eine leicht bessere Tordifferenz aufweisen konnte. Mit anderen Worten: Nur ein Bayern-Sieg am letzten Spieltag, bei gleichzeitiger Niederlage der Bremer in Stuttgart, hätte den alles entscheidenden und letzten Wechsel an der Tabellenspitze zur Folge gehabt. Einer aus dem Fanclub hatte Karten für das Heimspiel im Olympiastadion. Optimismus trugen wir auf dem Weg nach München an diesem Samstagmorgen nicht zur Schau. Aber es gab doch noch eine minimale Chance auf die Meisterschaft. Und was für mich wichtig war: Es wäre mein erster live erlebter Meisterschaftsgewinn gewesen. Ich fragte mich nicht, wie ich mich bei einem Misserfolg fühlen würde, sondern spürte Erleichterung darüber, mich keinesfalls später einmal fragen zu müssen, warum ich nicht dabei gewesen war. Das ist ein Unterschied. Seitdem habe ich für den letzten Spieltag immer eine Eintrittskarte. Mal erlebte ich ein Happy End (1994, 2000, 2001), aber es ging auch einige Male schief (1991, 1993, 2002).
Ich weiß, es klingt kitschig, aber in München war ein Wetter, um Deutscher Meister zu werden. Kaiserwetter sozusagen. Wenn man sich nämlich mal die Jubelbilder diverser Meisterschaftsentscheidungen ab den achtziger Jahren anschaut, dann hatten wir meistens den passenden Sonnenschein dazu, was ja Ende Mai nun wirklich nicht zwangsläufig der Fall sein muss.
Noch völlig übermüdet von der langen Zugfahrt machten wir es uns vor dem Spiel auf dem Rasen des Olympiaparks gemütlich, dösten vor uns hin und ließen langsam eine gewisse Anspannung in uns aufkommen. Nebenbei versaute ich mir im Gras das ausgeliehene Commodore-Trikot, dessen Weiß an einigen Stellen bereits hässliche Grünfärbungen aufwies.
Allerspätestens in der ersten Spielminute war dieser Ärger jedoch verflogen. Lothar Matthäus hatte bereits nach 16 Sekunden gegen Mönchengladbach getroffen. Doch was würde dies nützen? In der 22. Minute schwappte die Stimmung im Olympiastadion jedoch über, als durch Tausende von Transistorradios der Rückstand der Bremer im Neckarstadion verkündet wurde. Allgöwer hatte den VfB mit 1:0 in Führung gebracht. Ich war fix und fertig. Konnte das hier wirklich wahr sein? Kurz darauf traf Hoeneß per Kopfball zum 2:0 für den FCB. Die Hausaufgabe eines eigenen Sieges schien damit erledigt. Dies war auch die größte Sorge, die wir alle hatten: ein nicht gewonnenes Heimspiel bei gleichzeitigem Straucheln der Bremer im Neckarstadion.
Ab jetzt war das eigene Spiel nur noch nebensächlich. Es ging nur noch um die Frage: Was macht Stuttgart? Als Allgöwer in der 52. Minute die Führung des VfB auf 2:0 ausbaute, erlebte ich die Südkurve und die Südkurve mich nur noch in Raserei. Mittlerweile stand es 3:0 für die Bayern. Und immer wieder
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