Sehnsucht FC Bayern
polarisiert. Entweder mag man ihn, oder man hasst ihn. Wenn dann ein Titel eingefahren wurde, ist das nicht nur ein Triumph um seiner selbst willen, sondern auch immer eine Erleichterung, es wieder einmal allen gezeigt zu haben. Während Fans anderer Mannschaften nach einer Niederlage überwiegend mit Mitgefühl rechnen können, ist es bei Bayern-Fans stets die zu erwartende Häme, die einem, je nach Region, das Wochenende zusätzlich vermiesen kann. Neid muss man sich erarbeiten.
Diese Häme blieb in der Saison 1988/89 aus. Die Meisterschaft wurde bereits frühzeitig klar gemacht und verschaffte dem Verein die nötige Zeit, den Titelgewinn vor eigenem Publikum gebührend zu feiern. Mit meiner ehemaligen Freundin Jeanette, mit der ich zwischenzeitlich wieder zusammengekommen war, bettete ich diesen Heimspiel-Besuch in den ersten kleinen, gemeinsamen Urlaub ein. Chris de Burgh, der sich in Deutschland zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seiner Popularität befand, sagte zum großen Verdruss der ARD kurzfristig einen Auftritt in der Samstagabend-Show von Michael Schanze ab und gleichzeitig bei Uli Hoeneß zu. Dem 5:0-Erfolg im letzten Spiel über den VfL Bochum schloss sich bei bestem Wetter ein Open-Air-Konzert von ihm im Olympiastadion an. Der Verein hatte den Innenraum für die Besucher freigegeben, so dass sich das Spielfeld binnen kürzester Zeit in einen vieltausendfachen Stehplatzbereich vor der großen Bühne in der Nordkurve verwandelte. Ob man jetzt die Musik des irischen Popbarden mag oder nicht – das hatte wirklich Stil. Ich genoss den Abend in vollen Zügen auf der Haupttribüne und war nicht nur glücklich, dabei zu sein, sondern auch stolz auf den FC Bayern: auf das, was er sportlich erreicht und an diesem Abend für die Fans auf die Beine gestellt hatte.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
1989/90
S ELBSTREFLEXIONEN
Fast zeitgleich mit der Saison begann für mich ein komplett neuer Lebensabschnitt. Den Einstellungstest beim Versicherungskonzern hatte ich gemeistert und war damit alle Sorgen ob meiner beruflichen Zukunft erst mal los. Mit fast 20 Azubis, die dort zu einem Jahrgang gehörten, hatten wir mächtig Spaß. Fußball war natürlich ein Thema. Ich lernte dort einen sehr sympathischen Fan des 1. FC Köln kennen. Was mich an ihm fasziniert hatte, war, wie souverän er auf Frotzeleien und bisweilen böse Bemerkungen über seinen FC reagierte. Ich hingegen empfand solche Kommentare noch als persönliche Beleidigung, reagierte patzig oder begann hoffnungslose Diskussionen. Er jedoch nahm die Sprüche weich wie ein Tennisspieler auf, der einen Stoppball knapp hinter das Netz schlagen möchte. Er schloss sich einfach der Meinung seines Gegenübers an: »Ja, gestern waren wir wieder mal unterirdisch, eben typisch FC.« Das galt auch, als ein Kollege seinem kleinen Plüsch-Geißbock auf dem Schreibtisch einen Strick um den Hals legte. »Bei der nächsten Niederlage darfst du ihn auch teeren und federn.«
Ich war verblüfft. Als Inhaber einer Dauerkarte war er ein nicht minder großer Anhänger seines Vereins wie ich. Innerlich wurmte es ihn. Doch recht bald verloren die Kollegen die Lust, ihn zu ärgern. Spät, aber mit 21 Jahren noch nicht zu spät, registrierte ich, dass es anderen meist gar nicht darum geht, sich wirklich inhaltlich mit mir über Fußball zu unterhalten, sondern mich einfach nur zu ärgern. Diese Leichtigkeit, mit der mein Kollege mit dem Thema umging, imponierte mir. Erst da wurde mir bewusst, wie viele Dogmatiker es unter Fußball-Fans gibt, was mit zunehmendem Alter immer lächerlicher wirkt.
Vielleicht kam meinem Kollegen im spielerischen Umgang mit seiner Liebe zum 1. FC Köln auch eine gewisse rheinische Mentalität zugute. Eine Mentalität, die sich auch in der Fähigkeit ausdrückt, selbst der größten Peinlichkeit noch eine heitere Note abzugewinnen. Ein Beispiel: In der Saison 2001/02 steuerte der 1. FC Köln geradewegs auf einen Negativ-Rekord in der Bundesliga zu. 965 Minuten ohne eigenen Torerfolg würden eine neue »Bestmarke« in der Bundesliga bedeuten und die Serie des 1. FC Saarbrücken Makulatur werden lassen. Jeder andere Verein hätte versucht, diese Schmach wenigstens im letzten Moment zu umgehen. Nicht so in Köln! Wenn schon schlecht, dann auch richtig. Der Rekord geriet zum Happening. Die Kölner Boulevardpresse nahm sich im Vorfeld des Themas an. Irgendwann Mitte der ersten Halbzeit kullerte der Ball ins
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