Sehnsucht FC Bayern
ein Ort. Zumindest jetzt. Ich mochte mich dort einfach nur ungestört aufhalten.
Die Stille, die ich aufnahm, war irritierend. Bayern München hatte ich bis dahin nur in Verbindung mit vollen Stadien, Lautstärke und Anspannung erlebt. Und jetzt? Ein Platzwart schob seine Schubkarre mit gemähtem Gras hinter das Haus. Zwei Tauben stolzierten einsam über den Trainingsplatz. Mehr nicht. Im Verwaltungsgebäude, dessen Anblick ich aus so vielen Fernsehberichten kannte, brannte um diese Uhrzeit nur noch vereinzelt Licht. Minutenlang habe ich gegrübelt, wer dort eigentlich was macht. Mein gesamter München-Aufenthalt verlief so. Ich suchte bekannte Orte im Stadtgebiet auf, die in Zusammenhang mit meinen bisherigen sechs Heimspielen standen: der Hauptbahnhof mit seiner großen Gleishalle und dem Pornokino »AKI«, das Olympiagelände mit der Besuchertribüne in der Schwimmhalle und dem Aussichtspunkt auf dem Olympiaberg, das olympische Dorf mit seiner Einkaufspassage und dem Parkdeck, wo wir zu Heimspielen stets parkten. Und natürlich auch der Marienplatz, der zu bestimmten Zeiten ebenfalls sehr still sein kann. Dort überall ließ ich mich nieder, verharrte für viele Minuten und dachte einfach nur nach. Ich war jetzt 20 Jahre alt und die Hälfte meines Lebens Bayern-Fan. Kein anderes Hobby begleitete mich bereits nun schon so lange. Der FCB war zu einer echten Konstante in meinem bisher unsteten Leben geworden. Nichts, an dem man sich unbedingt orientiert, aber ein Thema, das mich permanent beschäftigte und in weniger schönen Stunden auch tatsächlich phasenweise wieder aufrichtete.
Ich übernachtete im Jugendgästehaus in der Elisabethstraße und wunderte mich nach der zweiten Nacht nicht mehr darüber, dass morgens mit mir stets neue Zimmergenossen aufstanden. Und das Heimspiel gegen den 1. FC Köln? Durch Tore von Hans Dorfner und Mark Hughes führten wir bereits 2:0. Wahrscheinlich passte es zu meiner Gesamtsituation, dass wir (man beachte mit »wir« das mittlerweile angewandte, besitzanzeigende Personalpronomen!) vor nur 24.000 Zuschauern noch den 2:2-Ausgleich kassierten. Bonjour Tristesse!
Die Saison endete für mich mit einem trostlosen 0:0 in Uerdingen. Die Meisterschaft war längst zugunsten von Werder Bremen entschieden. Der FC Bayern wurde Zweiter und verpasste damit den – zumindest in Deutschland – historischen Rekord von vier Meisterschaften in Folge. Das sind Luxusprobleme!
Neben meiner unklaren Zukunft plagte mich noch ein weiteres Problem: Am 1. Juli trat ich die Grundausbildung bei der Bundeswehr an. Sollte dies hier heute in Uerdingen womöglich mein letztes Bayern-Spiel für lange Zeit sein?
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
1988/89
D AS TUT DEM J UNGEN MAL GANZ GUT
»Kompaniiiiiiie, Aufsteeeeeeeehn!!!« Mit diesen zwei Worten lässt sich meine Qual bei der Bundeswehr knapp zusammenfassen. Was habe ich dieses Aus-dem-Etagenbett-Klettern um 5.15 Uhr gehasst! Ein Alptraum.
Ab Juli 1988 verschlug es mich nach Goslar. Dort, im Harz, absolvierte ich drei Monate lang meine Grundausbildung bei der Luftwaffe. Beruflich noch immer orientierungslos, kam mir die Bundeswehr zeitlich eigentlich ganz recht. Immerhin verschaffte mir der Einberufungsbescheid für meine Lebensplanung weitere 15 Monate Luft. Eine Lebensplanung, die mir dermaßen unsicher erschien, dass ich im Hinblick auf zukünftige Bewerbungsgespräche bei konservativen Personalchefs lieber auf Nummer sicher gehen wollte:
»Sie haben gedient, junger Mann?«
»Aber selbstverständlich!«
Wenn die Zeugnisse schon katastrophal waren, sollte wenigstens dieser Teil im Lebenslauf Hand und Fuß haben. Luftwaffe – das klang, für mich als zukünftiger Schönwetter-Soldat, auch einigermaßen schick. Wie heißt es so nett: die Jungs von der Marine, die Männer vom Heer und die Herren von der Luftwaffe. Na bitte! Vielleicht ließ sich ja daraus etwas machen. Meine Eltern hätten es hingegen wohl als gerechte Strafe empfunden, wenn man mich direkt vom ersten Tag an in einen Kampfverband mit Auslandseinsatz gesteckt hätte. Aber so etwas gab es ja noch nicht. Glück gehabt. Ihre Hoffnungen richtete sich ganz auf den pseudo-pädagogischen Ansatz der Wehrpflicht. »Da wird man ihm die Hammelbeine schon lang ziehen. Das tut dem Jungen mal ganz gut, wenn er dort gefordert wird.«
Mich trieb jedoch eine ganze Sorge. Grundausbildung bedeutet drei Monate keinen Urlaub und Wochenenddienste. Wohin ich nach
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