Sehnsucht FC Bayern
Heimspielen ohne Weiteres jetzt auch mal eben ein Wochenend-Trip auswärts zu Hertha BSC möglich war. Die Reise nach Berlin, ziemlich exakt ein Jahr nach dem Fall der Mauer, machte Appetit auf mehr. Von den München-Besuchen einmal abgesehen, beschränkten sich die Aufenthalte in den Städten der gastgebenden Vereine bis dahin »nur« auf den Besuch des Stadions. Mit dem Besuch in Berlin wurde das anders. Bis heute versuche ich, weite Auswärtsfahrten, wenn irgend möglich, mit dem Besuch von Sehenswürdigkeiten vor Ort oder auf der Strecke dorthin zu verbinden, um der weiten Fahrt einen zusätzlichen Sinn zu geben. Das konnte der Besuch eines Museums ebenso sein wie später mal ein Abstecher zur documenta in Kassel oder Expo in Hannover. Reisen bildet.
Im Falle einer wieder einmal kombinierten Oktoberfest-/Heimspielfahrt nach München wurde ich jedoch unfreiwillig und ungefragt selber zum Anschauungsobjekt. Eine Zufälligkeit, die neben den erwähnten Veränderungen im Fußball nebenbei auch den Wandel im Umweltbewusstsein reflektiert. Kennt noch jemand die Gasdruckfanfaren, die ab Ende der achtziger Jahren in den Bundesligastadien einen geradezu infernalischen Lärm produzierten? Manch einer, der mal einen Nachmittag neben einer solchen Fanfare verbracht hat, wird womöglich noch den Krach im Ohr haben. Von Klang möchte ich hier lieber nicht reden. Diese Druck-Fanfaren wurden mit FCKW betrieben und gerieten demzufolge ins Visier der Umweltbewussten. Die ARD strahlte seinerzeit über Monate hinweg entsprechende Umwelt-Trailer aus. Das Motto: Die Natur braucht uns nicht, aber wir die Natur. Eine dieser Folgen beschäftigte sich mit just diesen Fanfaren. Irgendwann rief mich ein Freund ganz aufgeregt abends an. »Hast du das gesehen? Du warst im Fernsehen!«
Ich hatte mich nicht gesehen und entdeckte den Trailer auch bei den Wiederholungen in den kommenden Wochen nicht. Schließlich wurde es mir zu blöd, und ich forderte beim Bayerischen Fernsehen ein Videoband an. Das kostete mich zwar einige Überredungskünste, und man wollte es auch unbedingt wieder zurückhaben, aber es kam dann schließlich doch mit der Post. Und tatsächlich! Für einige Sekunden sah man mich überdeutlich laut anfeuernd inmitten der Südkurve im Olympiastadion – quasi als positives Beispiel dafür, dass es auch ohne Fanfaren geht. Ich fand mich peinlich. Niemand hatte mich gefragt, ob ich mich dafür hergeben wollte, geschweige denn, ob ich mit einer mehrfachen Ausstrahlung in der ARD einverstanden wäre. Gut, man kann sich natürlich fragen, ob es praktikabel war, meine Einwilligung einzuholen. Dies aber stillschweigend vorauszusetzen, war und ist für mich dreist.
Sportlich beherrschte ein Thema die ganze Saison: der Höhenflug des 1. FC Kaiserslautern. Der Verein hatte seit den glückseligen Zeiten von Fritz Walter fast 40 Jahre nichts mehr gerissen und sich im Sommer 1990 mit dem Sieg im DFB-Pokal überraschend wieder zurückgemeldet. Nun aber spielten die Roten Teufel einen begeisternden Offensivfußball und avancierten, neben dem FC Bayern, von Spieltag zu Spieltag mehr und mehr zum Titelfavoriten. Zum Showdown kam es am 31. Spieltag. Beide Vereine traten auswärts an. Der FCK bei Werder Bremen und der FCB bei Wattenscheid 09. Angesichts des Punktevorsprungs der Lauterer ließ Uli Hoeneß nichts unversucht, das Pendel des Erfolges doch noch zu seinen Gunsten ausschlagen zu lassen. Er kaufte die letzten, freien Kartenkontingente des Bochumer Ruhrstadions auf und stellte sie den Bayern-Fanclubs an Rhein und Ruhr als Freikarten zur Verfügung, um eine noch größere Unterstützung vor Ort zu gewährleisten. Eine tolle Geste, von der auch unser Fanclub Gebrauch machte, sodass wir mit 35 statt der üblichen 20 Mitglieder zum Auswärtsspiel fahren konnten.
Die große Unterstützung im Ruhrstadion brachte jedoch nicht den erhofften Erfolg. Während die Lauterer in Bremen gewannen, verloren die Bayern gegen Wattenscheid. Das war wie ein Matchball für Kaiserslautern. Aus den zwei ausstehenden Spielen fehlte dem Verein nur noch ein Punkt. Bis weit nach dem Schlusspfiff blieben wir enttäuscht im Stadion sitzen und konnten es einfach nicht fassen, wie die eigene Mannschaft die Meisterschaftsentscheidung aus der Hand gegeben hatte. Das war einer jener Momente, bei denen sich zur Enttäuschung zusätzlich noch so etwas wie Lähmung bemerkbar macht. Normalerweise würde man den Ort des Schreckens gerne umgehend verlassen. Aber wir saßen
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