Sehnsucht FC Bayern
Warmmachen nicht mehr aus der Kabine kommen und sich der Anpfiff auf unbestimmte Zeit verzögert? Ich jedenfalls nicht. Grund war eine Bombenwarnung. Nur gut, dass man so etwas immer erst später erfährt. So geschehen in Highbury, dem Stadion von Arsenal London.
Das für mich Faszinierendste an englischen Stadien, sofern sie sich noch an ihren ursprünglichen Standorten befinden, ist die enge Wohnbebauung drumherum, wo sich Zehntausende Zuschauer in engen Gassen an fliegenden Händlern vorbeiquetschen müssen. Wir dehnten unseren Aufenthalt auf zwei Tage aus und wurden zufällig Zeugen der jährlichen Parlamentseröffnung. Für den prunkvollen Umzug der Queen mitsamt ihrem Hofstaat wurde die Prachtmeile »The Mall« vom Buckingham Palast aus gesperrt. Eine tolle Zeremonie. Als Kölner liebt man ja ohnehin jede Form des Umzuges, egal ob an Rosenmontag, an Fronleichnam oder zum Christopher-Street-Day. Aber das hier war mit einem Dutzend Kutschen und mehreren Reiter-Corps in ihren historischen Kostümen – sorry, Uniformen – ganz großes Kino. Wir hatten ja keine Ahnung, um was es hier eigentlich ging. Ein listiger Einheimischer verriet uns den optimalen Platz, um bei der Rückfahrt des Kutschen-Konvois möglichst nah an die Königliche Familie heranzukommen: auf der südöstlichen Seite der Verkehrsinsel unterhalb des Victoria Memorials. Der Brite behielt Recht. In einer Entfernung von vier Metern schaukelte die goldene Kutsche mit der Queen an uns vorbei. Elisabeth saß rechts, also zu unserer Straßenseite hin, und verband ihr aristokratisch gestähltes Dauerlächeln mit gelegentlich zögerndem Winken. Die Frau macht ihren Job jetzt seit 1953, das war vier Jahre vor unserem ersten Sieg im DFB-Pokal, und dürfte mit Sicherheit die meistfotografierte Frau der Welt sein. Ich war begeistert. Ich bin kein Royalist, aber wenn Monarchie immer so prächtig anzuschauen wäre, ließe ich mich vielleicht doch noch umstimmen. Nun ja, bis dahin werde ich mit dem »Kaiser« vorlieb nehmen.
Spartak Moskau: Diese beiden Gruppenphasen hatten es in sich. Nach dem Norden und dem Westen ging es nun in den Osten. Moskau war bis dahin das spektakulärste Reiseziel mit dem FC Bayern. Schon der Name klang nach »weit weg«. In London waren schon viele. Aber in Moskau? Bereits die Beschaffung der Visa geriet zum Abenteuer. Da Antje, Carsten und ich erst kurzfristig die Zusage für unsere Unterkunft bekamen, wurde ein entsprechend teures Expressvisum nötig. Also nix wie los frühmorgens von Bergisch Gladbach zur Russischen Botschaft in Bonn-Bad Godesberg. Dort stand ich dann nun in Eiseskälte zwischen Angehörigen ungezählter und nicht näher erkennbarer russischer Volksstämme und wartete auf Einlass um sieben Uhr. Ich räume ein, es war ein mulmiges Gefühl und gleichzeitig dennoch ausgesprochen spannend. So eine Visum-Beschaffung gleicht ja für Laien ohnehin einer Köpenickiade: ohne Unterkunftsnachweis kein Visum, ohne Visum keine Unterkunft. Wir umgingen das Problem, indem wir uns in eine Werkswohnung des Kölner Motorenherstellers Deutz AG in der umzäunten Siedlung für deutsche Arbeitnehmer und Botschaftsangehörige einmieteten. Ein Plattenbau-Erbe des ehemaligen sozialistischen Bruder-Staates DDR. Ein Mitglied des Fanclubs ließ seine guten Kontakte zum Arbeitgeber spielen. Ein Arbeitgeber, der übrigens von 1977 bis 1984 unter dem Label »Magirus Deutz« und später »IVECO Magirus« auch das Bayern-Trikot geziert hatte. Das passte also.
Zum Aufreger des Trips entwickelten sich die klimatischen Bedingungen. Die russische Hauptstadt hatte eine Kältewelle erreicht, die die Austragung des Spieles doch arg in Frage stellte. Minus 13 Grad waren um die Mittagszeit völlig normal. Zum Abschlusstraining im Luschniki-Stadion, dem Olympiastadion von 1980, mischten wir uns in den Pulk der deutschen Pressevertreter. Das Thermometer zeigte am Vorabend des Spiels minus 18 Grad. Das Spiel war gefährdet! Zudem lagen dicken Eisplatten auf dem Spielfeld. Einen Rasen gab es nicht. Uns schwante Böses. Hektisch geführte Telefonate am Spielfeldrand bestätigten erste Gerüchte, das Spiel könne abgesagt werden. Dazu kam es glücklicherweise nicht. Die Temperaturen gingen am nächsten Tag etwas nach oben. Bei minus 20 Grad wäre die Begegnung nicht angepfiffen worden. Das Spielfeld wurde über Nacht von Einheiten der russischen Armee, die wir bereits am Vorabend aufmarschieren sahen, mit einer Schicht grün gefärbter Sägespäne
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